Die globale Corona-Epidemie ist die wohl die größte Herausforderung seit dem Zweiten Welkrieg. Mein Ziel ist, dass wir nicht nur solidarisch in der Krise sind, sondern auch solidarisch aus der Krise herauskommen. Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung, die die gesellschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre bestimmen wird: Entweder überlassen wir die Gesundheitsvorsorge weiterhin dem Markt, sparen Deutschlands und Europas Zukunft kaputt und wälzen die Kosten der Krise ab auf jene, die jetzt viel leisten und zugleich am meisten unter den Einschränkungen leiden. Oder wir lernen aus der aktuellen Krise und den Fehlern einer Politik des Kaputtsparens der vergangenen Jahre, indem wir den Kampf gegen bestehende gesellschaftliche Ungleichheit endlich konsequent angehen; indem wir uns für eine Gesundheits- und Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand ebenso einsetzen, wie für eine koordinierte, innovative und beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik.
Das Gesundheitssystem muss für die Menschen da sein, nicht zum Geldverdienen
Auch in Deutschland zeigt die Coronakrise die Grenzen unseres Gesundheits- und Pflegesystems auf. Eine Politik, nach der Krankenhäuser vor allem Gewinn machen sollten, hat dazu geführt, dass diese heute unterversorgt sind. Es mangelt an Beatmungsgeräten, Intensivbetten, Schutzkleidung und Masken. Weil wir davon zu viel dem Markt überlassen haben, werden jetzt nicht nur horrende Preise dafür aufgerufen, sondern auch die Beschaffung läuft schleppend. Die dafür benötigte Zeit erkaufen wir uns durch massive Einschränkungen unseres Alltags und unserer Wirtschaft.
Noch dramatischer droht es zu werden, wenn wir weiterhin die Arzneimittelproduktion fast vollständig nach Asien auslagern und die Entwicklung von Impfstoffen privaten Ausgründungen öffentlich geförderter Forschungsindtitute überlassen. Die Frage, ob ein in Deutschland entwickelter Impfstoff an andere Länder ausverkauft wird, darf nicht von der Entscheidungnes Fußball-Mäzens abhängig sein. So geschehen bei CureVac: Dietmar Hopp hinderte das Tübinger Unternehmen an einem Sonderdeal mit den USA. Darum brauchen wir mehr staatliche Kontrolle, Produktion und Entwicklung. Applaus und steuerfreie Prämienzahlungen für Menschen in systemrelevanten Berufen - das sind tolle und wichtige Gesten, die jedoch nicht ausreichen! Wir brauchen bessere und allgemeinverbindliche Tarifabschlüsse, um Beschäftigte auf Dauer deutlich besser zu entlohnen. Außerdem muss der Personalschlüssel im Gesundheitsbereich verbessert werden, um der zu hohen Arbeitsbelastung beizukommen. Eine angemessene Ausbildungsvergütung, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und attraktive Umschulungsprogramme sind schon lange überfällig, um dem massiven Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Die Wirtschaft wiederbeleben – in die Zukunft investieren
Die Politik wird gefordert sein, die aabgeflachte Konjunktur wieder zu beleben. Pauschale Unternehmensteuersenkungen oder Steuerentlastungen für die oberen Einkommensschichten werden das nicht bewirken. Vielmehr braucht es ein Wachstums- und Innovationsprogramm für die Gesamtwirtschaft, das Forschung und technische Innovation mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft, der Förderung von Beschäftigung und guten Arbeitsbedingungen sowie dem Ausbau der öffentlichen Daseinvorsorge verknüpft. Drei Investitionsschwerpunkte erscheinen dabei sinnvoll:
1) In Bildung – für hochwertige KiTa- und Ganztagsschulangebote, für umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten, für mehr Personal und für einen Digitalpakt Hochschule.
2) In kommunale Infrastruktur – weil Schwimmunterricht nicht aufgrund maroder Schwimmbäder ausfallen darf, weil zerfallende Verkehrsinfrastruktur nicht die Ursache von Störungen im Betriebsablauf sein darf und weil wir Mobilfunk und schnelles Internet überall brauchen.
Sowie 3) In Maßnahmen zum Klimaschutz – um die Klimaschutzziele zu erreichen, um Vorreiter einer kohlenstofffreien Wirtschaft zu sein und um auf dem Weltmark entsprechende Technologien anbieten zu könenn.
Finanziert werden können die vorgeschlagenen Maßnahmen aus Abgaben auf besonders hohe Vermögen und über eine mit wachsendem Einkommen steigende Corona-Solidaritätsabgabe. Wir brauchen eine Umstellung in der Steuerpolitik, die Einkommen aus Kapital höher besteuert, als Arbeitseinkommen. Nur wenn starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern, kann es uns gelingen, die sozialen Fliehkräfte in Deutschland und Europa einzudämmen.
Ungleichheit bekämpfen
Die Krise offenbart nicht nur einmal mehr die bestehende Ungleichheit in unserer Gesellschaft, sondern sie verstärkt sie. Anhand von Vorerkrankungen können wir erkennen, dass der CoV-2 Virus die Menschen nicht gleichermaßen trifft. Männer mittleren Alters mit niedriger Berufsqualifikation haben ein achtmal höheres Rissiko aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen frühverrentet zu werden als Männer im selben Alter, die hochqualifiziert sind. Frauen, die dem unteren Einkommensdrittel der Gesellschaft angehörn, haben ein dreimal höheres Risiko an chronischer Bronchitis zu leiden als Frauen aus dem oberen Drittel. Die Beispiele ließen sich fortführen…
Bei Schulschließungen, verhängten Ausgangs- und Kontaktsperren zeigt sich zudem: Wer in großen Wohnungen mit Balkon oder im eigenen Haus mit Garten wohnt, dem/der fällt es leichter, zuhause zu bleiben. In Familien, in denen jedes Kind ein eigenes Zimmer und ein eigenes Tablet oder Laptop hat, fällt das Homeschooling leichter, als wenn ohne ausreichend Geräte beengt am Küchentisch gelernt werden soll. Im Homeoffice befinden sich vor allem diejenigen mit gut bezahlten Jobs. Dass diese auch einer Herausforderung ausgesetzt sind – insbesondere, wenn sie das Homeoffice mit Kinderbetreuung müssen – steht außer Frage. Aber es ist eine andere Herausforderung, wenn das zu geringe Kurzarbeitergeld oder der geschlossene eigene, kleine Betrieb die Frage nach dem wirtschaftlichen Überleben stellt.
Systemrelevant sind die Beschäftigten im Gesundheitsbereich und in den Pflegeberufen, aber auch die Kassiererin / der Kassierer, Die Gebäudereinigerin / der Gebäudereiniger, die Müllabfuhr und viele weitere, die harte Arbeit auf sich nehmen und sich tagtäglich gesundheitlichen Gefahren aussetzen, um unser alltägliches Leben trotz Corona am Laufen zu halten. Es sind die mit mehr Vorerkrankungen, mit kleineren Wohnungen und größeren wirtschaftlichen Sorgen. Besonder hoch ist der Anteil von Frauen in diesen Berufen, sodass die Krise auch die Ungleichheit der Geschlechter zusätzlich verstärkt.
Mit alle dem offenbart sich in der Krise, dass diejenigen, die systemrelevant sind, diejenigen sind, die unterbezahlt sind. Deshalb sind wir alle gefordert, daraus nach der Krise richtungsweisende Schlüsse zu ziehen. Nämlich: Aufwerten und besser bezahlen!