Vorwort
Mitte März haben wir uns als 12 neue Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion mit einem Thesenpapier zum Erneuerungsprozess der Sozialdemokratie zu Wort gemeldet. Die große Resonanz hat uns überrascht, die vielen positiven Reaktionen haben uns gefreut und bestätigt.
Parteien erneuern sich ständig, es gibt keinen Anfangs- und vor allem keinen Endpunkt solcher Prozesse. Dennoch ist nach dem schlechten Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl und einigen Niederlagen bei Landtagswahlen klar, dass sich die Sozialdemokratie neu aufstellen muss. In Deutschland, Europa und der Welt erstarken nationalistische und rassistische Kräfte, die unsere Demokratie und unseren Sozialstaat ablehnen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren und sind das Bollwerk für Demokratie, Solidarität und Freiheitsrechte. Um dies auch in Zukunft wirkungsvoll sein zu können, brauchen wir in diesen Zeiten eine kulturelle und vor allem inhaltliche Neubestimmung sozialdemokratischer Politik.
Der von der Partei beschlossene Erneuerungsprozess eröffnet nun allen Mitgliedern die Möglichkeit, sich aktiv bei dieser Aufgabe einzubringen. Auch wir wollen dies mit den vorliegenden Papieren tun. Dabei geht es uns nicht darum, fertige und vollständige Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu geben. Wir wollen mit unseren Thesenpapieren die Diskussion in unserer Partei bereichern, Anregungen geben, Ideen formulieren und so dafür sorgen, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus diesem angestoßenen Prozess langfristig gestärkt hervorgehen.
Wachstum, Wohlstand, Wertschöpfung
1. Wo wir stehen
Industrie und Mittelstand sind in Deutschland das Fundament unserer Wirtschaft. Durch hohe Innovationskraft und Produktivität sorgen sie für Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung. Hier ist die gewerkschaftliche und tarifliche Bindung am stärksten und wir finden meist gute und gut bezahlte Arbeit. Unsere Aufgabe als Sozialdemokratie ist es sicherzustellen, dass wirtschaftlicher und technologischer Fortschritt kein Selbstzweck sind, sondern zu mehr Wohlstand und einem besseren Leben der Menschen führen.
Wir erleben aktuell aber widersprüchliche Entwicklungen: Die wirtschaftliche Situation Deutschlands ist gut, wenngleich der Aufschwung auch auf äußeren Erfolgsfaktoren, dem Euro, der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und dem seit Jahren zu großen Leistungsbilanzüberschuss basiert. Außerdem kommt dieser Aufschwung nicht bei allen Menschen an. Es herrscht Rekordbeschäftigung, jedoch um den hohen Preis der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und wachsender sozialer Ungleichheit. Die öffentlichen Haushalte erwirtschaften zwar stattliche Überschüsse, gleichzeitig investieren sie aber zu wenig in die öffentliche Infrastruktur.
2. Was wir tun können
Als SPD ist es unsere Aufgabe, eine kluge und vorausschauende Politik zu betreiben, die sich nicht auf der aktuellen Lage ausruht, sondern Weichenstellungen für die Zukunft vornimmt. Deutschland muss jetzt, wo die Sonne scheint, das Dach in Ordnung bringen!
2.1 Wachstum: Investitionsoffensive
Wir wollen offensiv agieren. Wir sind die Partei, die jetzt dafür sorgt, dass notwendige Investitionen mit mehr Nachdruck umgesetzt bzw. eingeleitet werden. Eine konsequente Investitionsoffensive ist nicht nur aus ökonomischer Sicht richtig. Ihre politische Notwendigkeit lässt sich auch aus anderen Perspektiven begründen:
Die öffentlichen Nettoinvestitionen sind in Deutschland seit über 10 Jahren zu niedrig und reichen nicht einmal aus, die Substanz der Infrastruktur zu erhalten. Wir leben von vergangenen Investitionen und auf Kosten der nächsten Generationen. Nach Schätzungen der KfW beläuft sich die Infrastrukturlücke auf mittlerweile 140 Milliarden Euro. Damit langfristig wieder mehr investiert wird, brauchen Bauwirtschaft und öffentliche Verwaltung Planungssicherheit. Die wollen wir mit einem Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Infrastruktur leisten, das für die Bundesrepublik konjunkturunabhängig die jährliche Mindestnettoinvestitionsquote für die nächsten 10 Jahre festlegt. Es geht darum, die Potentiale unserer Wirtschaft zu erweitern, um das Wachstum von morgen zu sichern.
Menschen haben zu oft den Eindruck, für Banken- und Eurorettung war Geld da, aber nicht für die Bildungseinrichtungen, Straßen oder maroden Brücken vor ihrer Tür. Für uns heißt die Aufgabe deshalb: Der Staat und seine Infrastruktur müssen sichtbar sein! Insbesondere diejenigen, die auf Unterstützung angewiesen sind sowie die Mittelschicht der Gesellschaft brauchen einen starken Staat.
Eine Investitionsoffensive in Deutschland wäre auch für Europa gut. Wir müssen weniger „auf Pump“ exportieren und Auslandsvermögen aufbauen. Wir müssen mehr Geld zu Hause ausgeben. Das steigert unsere Importe, senkt den Exportüberschuss und schafft Nachfrage in den anderen europäischen Ländern.
Dabei gilt für uns: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind Aufgaben der öffentlichen Haushalte. Wir wollen die finanzielle Ausstattung von Bund, Ländern und Kommunen stärken, um diese Aufgabe zu bewältigen. Wir wollen damit auch verhindern, dass Städte und Gemeinden auf Projekte öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) angewiesen sind, die intransparent sind und nach wiederholten Berechnungen des Bundesrechnungshofes den Steuerzahler mehr kosten als die konventionelle Finanzierung.
Die Politik der „Schwarzen Null“ ist dabei kein eigenständiges politisches Ziel. Vielmehr kann sie Hemmnis sein bei der Umsetzung unserer politischen Ziele. Statt einer einnahmeorientierten Investitionspolitik, bei der der Staat in ein starres Korsett aus selbst auferlegtem Verbot optimierter Steuereinahmen und Schwarzer Null gezwängt wird, stellen wir an den Beginn unserer politischen Überlegungen die Frage: Wie soll sich unsere Gesellschaft entwickeln und welche finanziellen Mittel benötigen wir für diese Ziele? Eine maßvolle, ökonomisch sinnvolle und sozial gerechte investitionsorientierte Einnahmenpolitik ist unsere Antwort auf die Herausforderungen dieser Zeit.
2.2. Wohlstand: Den Leistungsbegriff vom Kopf wieder auf die Füße stellen
Heute basiert soziale Ungleichheit nicht nur auf der ungleichen Verteilung der Einkommen, sondern auch auf der viel zu großen Vermögensungleichheit. Deshalb muss die staatliche Verteilung über Steuern und Sozialabgaben, in unserem sozialen und demokratischen Staat deutlich gerechter gestaltet werden.
Wir plädieren dabei für eine Neubelebung des Leistungsbegriffs: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das Handwerk, kleine und mittelständische Unternehmen tragen mit großem persönlichen Einsatz zum Wohlstand unserer Gesellschaft bei, während weltweit agierende Konzerne kaum Steuern zahlen und große Vermögen oft leistungslos vermehrt und von einer Generation zur nächsten übertragen werden. Sozialer Aufstieg wird so trotz großer Anstrengung immer schwerer. Er ist aber Grundvoraussetzung für eine Leistungsgesellschaft. Eine gerechte Besteuerung weltweit agierender Unternehmen, eine europäische Finanztransaktionssteuer auch auf Derivate, die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie das Umsetzen einer substanziellen und gerechten Erbschaftsteuer sind leistungsgerecht und dringend erforderlich. Darüber hinaus müssen wir zu Lösungen kommen, wie wir internationale Unternehmen, die an vielen Orten ihre Gewinne machen, sich aber einer effektiven Besteuerung entziehen, an einer gerechten Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben beteiligen. Steuereinnahmen sind dabei kein Selbstzweck, sondern Mittel, um dringend notwendige Zukunftsinvestitionen zu verwirklichen.
Der Wert von Grund und Boden hat sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls oft leistungslos vermehrt und die Baulandpreise sind massiv gestiegen. Auch deshalb ist bezahlbarer Wohnraum eine entscheidende soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Exorbitante Preissteigerungen bei Grund und Boden und damit bei Wohnraumerwerb und –miete machen es immer mehr Menschen unmöglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wir müssen darauf mutige Antworten geben.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1967 festgehalten: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, vierbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit (…) in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögenswerten“.
Wir müssen leistungslose Gewinne und Wertzuwächse, die aus öffentlicher Planung und Infrastruktur entstehen, weitaus mehr für öffentliche Zwecke nutzbar machen und hier die Diskussion über die Instrumente Planungswertausgleich, Bodenwertzuwachssteuer und das Bodenrecht sowie über eine (neue) Gemeinnützigkeit aufgreifen und auf die heutige Situation übertragen. Dies gebietet auch Artikel 14 unseres Grundgesetzes.
2.3. Wertschöpfung: Digitalisierung
Die Digitalisierung wird die Wertschöpfung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich verändern. Sie bietet ein enormes Potential an Produktivitätssteigerungen. Sie eröffnet neue Märkte, schafft neue Geschäftsmodelle und Beschäftigung. Gleichzeitig kann sie aber derzeit die Konzentration von Märkten bei wenigen Anbietern begünstigen, die die klügsten und leistungsfähigsten Köpfe anziehen und damit ihren Vorsprung potenzieren. Kleinere Wettbewerber, die noch nicht in der Lage sind, die modernsten Technologien einzusetzen, geraten unter Druck. Wachsende Produktivitätsunterschiede werden die zunehmende Lohnungleichheit ihrer MitarbeiterInnen verstärken, ebenso die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen. Unsere Aufgabe muss es sein, nicht nur Wachstum in der Spitze, sondern auch in der Breite zu fördern. Dafür braucht es nicht allein eine Wissensinfrastruktur, sondern vor allem einen Wissenstransfer. Wir wollen Sprunginnovationen genauso fördern wie Transfergemeinschaften für ein robustes Wachstum in der Fläche. Dort kooperieren Hochschulen für Angewandte Wissenschaften mit dem Mittelstand. Wird die Digitalisierung richtig gesteuert, hat sie das Potenzial, das Rückgrat der Wirtschaft zu sein und gesellschaftliche Entwicklungen positiv zu sichern.
3. Unsere Forderungen
- Eine investitionsorientierte Einnahmenpolitik statt einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik. Ein Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Infrastruktur. Die Festlegung einer jährlichen Mindestinvestitionsquote für die nächsten 10 Jahre.
- Die Stärkung der finanziellen Ausstattung von Bund, Ländern und Kommunen, damit die öffentliche Hand nicht auf ÖPP-Modelle angewiesen ist.
- Eine Neubelebung des Leistungsbegriffs: Eine europäische Finanztransaktionsteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, das Umsetzen einer wirksamen Erbschaftsteuer und eine gerechte Besteuerung weltweit agierender Unternehmen.
- Wohnen als neue soziale Frage: Mehr öffentlichen Wohnungsbau statt eines unübersehbaren Spiels der Kräfte. Abschöpfung leistungsloser Gewinne, zum Beispiel durch eine Bodenwertzuwachssteuer. Spekulationen verhindern; eine neue Gemeinnützigkeit.
- Die Digitalisierung so gestalten, dass sie ein Gewinn für alle wird. Positive Entwicklungen sollen unterstützt und im Sinne der Gesellschaft gezielt gefördert werden. So soll die Wirtschaftskraft von morgen gesichert werden.
Arbeit von morgen
1. Wo wir stehen
Unsere Arbeitswelt steht vor großen Herausforderungen. Globalisierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern sie in großer Geschwindigkeit. Alte Jobs gehen verloren und neue entstehen. Das schafft Verunsicherung, kann aber auch eine Chance sein.
Die SPD ist die Partei der Arbeit. Daher sind wir besonders gefordert, Antworten auf diese Zukunftsfragen zu finden. Uns eint dabei die Überzeugung, dass alle Menschen eine Aufgabe suchen, um ihr Leben sinnvoll zu gestalten und gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. In jedem und jeder stecken Neugier, Mut und Fleiß. Um mit dieser Gewissheit die Zukunft glaubhaft gestalten zu können, müssen wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und unsere Fehler aus der Vergangenheit korrigieren.
2. Was wir tun können
2.1 Schutz und Teilhabe
Wird es auch in Zukunft noch genug Erwerbsarbeit für alle geben? Wie begegnen wir der Überalterung unserer Gesellschaft und wie gehen wir mit Zuwanderung um? Und wie schützen wir uns vor Marktversagen und Ausbeutung?
Wir sind überzeugt: jeder und jede hat Anspruch auf eine Erwerbsarbeit, die Teilhabe am sozialen Leben ermöglicht. Dieses Menschenrecht können die Tarifpartner nur gemeinsam mit einem starken Staat erfüllen, den wir als SPD erkämpfen müssen. Dieser muss erstens für alle die gleichen Lebensvoraussetzungen schaffen, damit nicht Herkunft oder Geschlecht, sondern Chancen den eigenen Lebensweg bestimmen. Dabei wollen wir die Erwerbstätigkeit von Frauen im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit besonders fördern. Zweitens muss der Staat die Arbeitswelt aktiv mitgestalten, also vorhandene Arbeit besser verteilen und für gute Löhne sorgen, um so Marktversagen entgegenzutreten. Drittens muss er Arbeitslosigkeit verhindern und bei Verlust der Arbeit ohne Bedingungen Schutz bieten. Und viertens muss der Staat für eine verlässliche und ausreichende Rente im Alter sorgen. Alle diese Ziele wollen wir national erreichen und müssen dabei gleichzeitig europäische und globale Ansätze verfolgen.
2.2 Zusammenstehen und mitentscheiden
In den letzten Jahrzehnten gerieten die Rechte von Beschäftigten unter anderem wegen einer international vernetzten Wirtschaft, der wachsenden technischen Automatisierung und durch die Entstehung neuer digitaler Unternehmensmodelle unter Druck.
Wir sind überzeugt: wer arbeitet, der hat auch das Recht auf gute Arbeitsbedingungen. Erfolgreiche Unternehmen sind kein Selbstzweck, sondern sie stehen im Dienst unserer Gesellschaft und ihrer Beschäftigten. Daher müssen sie mit einer starken Mitbestimmung organisiert sein, die Gleichberechtigung und Diversität garantiert. Und zweitens muss ein umfassender Arbeitsschutz die psychische und körperliche Gesundheit der Beschäftigten sichern. Um dies zu garantieren, müssen sich Beschäftigte in ihren Betrieben, aber auch jenseits ihrer Branche und auf europäischer Ebene organisieren und solidarisieren. Dafür brauchen wir starke Gewerkschaften und Betriebsräte, deren erste politische Ansprechpartnerin die SPD und die europäische Sozialdemokratie sind.
2.3 Selbstbestimmung und Anerkennung
Nicht nur unsere Arbeitswelt wandelt sich, sondern auch unsere persönlichen Prioritäten und Bedürfnisse. Freizeit und Selbstbestimmung sind heute genauso wichtig wie faire Bezahlung. Der männliche Alleinversorger gehört der Vergangenheit an, Frauenerwerbstätigkeit und Arbeiten in Teilzeit sind heute selbstverständlich. Daran müssen wir unser Steuer- und Sozialversicherungsrecht anpassen.
Wir sind überzeugt: auch in Zukunft müssen die Menschen und ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe im Mittelpunkt der Arbeitswelt stehen. Jeder und jede hat das Recht auf eine sinnvolle Arbeit, die Selbstverwirklichung ermöglicht und das ortsunabhängig – egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Dafür müssen wir als SPD auch die Vielfalt von Leitbildern jenseits der Erwerbsarbeit wie Sorge- oder Familienarbeit anerkennen und unterstützen. Angesichts von zeitlicher und räumlicher Entgrenzung von Arbeit müssen wir das selbstbestimmte Leben schützen, damit Freiräume für Freizeit und Familie gesichert bleiben.
2.4 Mithalten und gestalten
Noch nie war die Bedeutung von Maschinen und Künstlicher Intelligenz so groß, noch nie konnten so viele Daten über Individuen gesammelt werden und noch nie mussten sich Beschäftigte so schnell mit neuen Anforderungen und Bedingungen zurecht finden.
Wir sind überzeugt: Damit technischer Fortschritt und Innovationen eine Chance sind, muss sichergestellt werden, dass sie das Leben von Menschen erleichtern und die natürlichen Ressourcen schonen. Digitalisierungsgewinne dürfen nicht nur wenigen gehören, sondern von ihnen muss unsere ganze Gesellschaft profitieren. Um gläserne Beschäftigte zu verhindern, sind moderne Regelungen für Privatsphäre und Datenschutz notwendig. Vor allem müssen wir aber unsere Bildungseinrichtungen weiterentwickeln: Kinder und Jugendliche müssen in unseren Schulen auf die digitale Arbeitswelt der Zukunft vorbereitet werden; an die Schulbildung anschließend brauchen wir moderne Weiterbildung, um Beschäftigung mit Weiterqualifizierung und lebenslangem Lernen sichern zu können.
3. Unsere Forderungen
- In Deutschland muss der Mindestlohn auf mindestens 12 Euro pro Stunde angehoben werden. Langfristig muss ein europäischer Mindestlohn eingeführt werden.
- Das Existenzminimum – welches einer lebensrealitätsnahen und transparenten Neuberechnung unterzogen werden muss – darf auch nicht durch Sanktionen unterschritten werden. Vielmehr müssen Anreize geschaffen werden, um der Erwerbslosigkeit zu entkommen. Das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens lehnen wir ab.
- Der ArbeitnehmerInnen-Begriff muss auch auf Gruppen ausgeweitet werden, die nicht unmittelbar in einem Unternehmen angestellt sind, aber von ihm abhängen. Die Rechte von ArbeitnehmerInnen und Mitbestimmung müssen für alle Beschäftigten gelten. Atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leih- und Zeitarbeit werden wir bekämpfen.
- Wir wollen ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften einführen und eine weitere Stärkung der Initiativrechte für Betriebsräte erreichen.
- Als Reaktion auf digitale Unternehmensmodelle muss das Betriebsverfassungsgesetz so angepasst werden, dass Betriebe nicht mehr allein als feste organisatorische, sondern als funktionale und ortsunabhängige Einheit definiert werden:
- Bei Unternehmensinsolvenzen müssen die Belegschaften ein Vorkaufsrecht erhalten.
- Die allgemeine Arbeitszeit muss bei vollem Lohnausgleich auf 35 Wochenstunden reduziert und durch Möglichkeiten einer Familienarbeitszeit sowie durch die Brückenteilzeit ergänzt werden. Weitere Modelle zur befristeten Reduzierung der Wochenarbeitszeit – wie beispielsweise die zweijährig befristete 28-Stunden-Woche der IG-Metall – unterstützen wir.
- Wir wollen die duale Ausbildung stärken und eine Ausweitung der Tarifbindung erreichen. Insbesondere die sozialen Berufe müssen durch eine Mindestausbildungsvergütung gestärkt werden. Dies gilt auch für vollschulische Ausbildungen, bei denen es zu prüfen gilt, welche Ausbildungszweige in das duale Ausbildungssystem überführt werden können.
- Ein lebenslang gültiges Chancenkonto in Höhe von 20.000 Euro muss eingeführt werden, um unter anderem Weiterbildungen oder Phasen beruflicher Neuorientierung finanzieren zu können.
- Die Arbeitslosenversicherung muss zu einer Arbeitsversicherung für lebenslange Qualifizierung weiterentwickelt werden.
- Ein Entgeltgleichheitsgesetz, das für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgt, muss eingeführt werden.
Ein bürgerfreundlicher Staat, der Sicherheit und soziale Teilhabe ermöglicht
1. Wo wir stehen
Wir als SPD bekennen uns zu einem handlungsfähigen Staat, der soziale Teilhabe ermöglicht und ein Leben in Freiheit und Sicherheit gewährleistet. Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, muss die Möglichkeit haben, aktiv und anerkannt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und es mitzugestalten. Wenn wir Inklusion, Teilhabe, Chancengleichheit und soziale Mobilität fördern, dann fördern wir auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn das, was die Menschen voneinander trennt, sind nicht ihre Herkunft oder Kultur, sondern soziale Ungleichheit. Eine Gesellschaft kann nur dann zusammenwachsen, wenn es ihr gelingt, strukturelle soziale Ungleichheit abzubauen und Teilhabe zu ermöglichen. Kernaufgabe des Staates muss es daher sein, allen Menschen in Deutschland – unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder sozialen Lage – gleichwertige Zugangschancen zu gesellschaftlichen sowie staatlich angebotenen Leistungen zu ermöglichen, um von gleichen Chancen auch zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse zu kommen. Wir wollen die doppelte Integration aller leisten, egal ob sie bereits lange hier leben, aber nicht die gleichen Chancen zur Teilhabe haben, oder neu bei uns ankommen.
2. Was wir tun können
Um diese Teilhabechancen zu gewährleisten, muss der Staat investieren: in Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Infrastruktur, im ländlichen wie im städtischen Raum. Dabei muss uns der Gedanke leiten, präventiv zukunftsgerichtet zu handeln: Durch mehr und gezieltere Investitionen kann der Staat dazu beitragen, dass der Nährboden für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut und Kriminalität gar nicht erst entsteht. Das macht im Kern einen bürgerfreundlichen Staat aus.
2.1 Öffentliche Sicherheit
Ein bürgerfreundlicher Staat muss seinen Bürgerinnen und Bürgern auch ihr Grundrecht auf Sicherheit gewährleisten. Soziale Gerechtigkeit kann es nur in einer friedlichen und sicheren Gesellschaft geben. Zudem ist Sicherheit auch ein Verteilungsthema. Menschen mit Zugang zu materiellen Ressourcen können sich Sicherheit erkaufen. Weniger privilegierte Menschen können das nicht. Damit ist Sicherheit ein zutiefst sozialdemokratisches Anliegen.
Sicherheit wird jedoch zunehmend zur Privatsache und zu einem käuflichen Gut. Staatliche Aufgaben werden ausgelagert und auf private Unternehmen übertragen. Das private Sicherheitsgewerbe expandiert und die Nachfrage nach privaten Sicherheitsdienstleistungen, sowohl in personeller Form als auch in Bezug auf Sicherheitstechnik, wächst. Wer es sich leisten kann, zieht in eine sicherere Gegend. Dieser Kommerzialisierung, also dem Zur-Ware-Werden von Sicherheit, muss der Staat entgegenwirken. Er darf sich von einer seiner Kernaufgaben, der Gewährleistung des öffentlichen bzw. gemeinschaftlichen Gutes der inneren Sicherheit, nicht zurückziehen. Die Etablierung von Bürgerwehren sehen wir mit Sorge und lehnen sie ab. Das Gewaltmonopol des Staates muss gewahrt bleiben.
Auf Kosten ihrer Beschäftigten und geringer Qualitätsstandards, bieten private Sicherheitsdienste ihre Leistungen oftmals niedrigpreisig an. Sie bewachen Flughäfen, Bahnhöfe, Kernkraftwerke, Großveranstaltungen wie Fußballspiele und Konzerte, und sorgen für Sicherheit in Unterkünften von Geflüchteten. Diese Auslagerung von Polizeiaufgaben ist auch vor dem Hintergrund der neuen Aufgaben und Herausforderungen zu sehen, mit denen die Polizei konfrontiert ist: Terrorbekämpfung, organisierte Kriminalität, Cyber-Kriminalität sowie immer aufwendigere Ermittlungsverfahren. Um diesen Trend umzukehren, müssen wir unsere Polizei stärken und personell besser ausstatten.
In der Asyl- und Migrationspolitik haben wir eine klare Haltung. Wir vertreten eine Position des humanitären Pragmatismus. Das Grundrecht auf Asyl ist für uns unantastbar. Gleichzeitig benötigen wir eine geordnete Flucht- und Migrationspolitik mit klaren Regeln. Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt. Hierfür benötigen wir ein funktionierendes Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und eine sofortige Identitätsklärung schon bei der Ankunft. Für Mehrfach- und Intensivtäter fordern wir beschleunigte Asylverfahren und konsequente Abschiebung. Klar ist aber auch: Ein deutscher Alleingang in der Asyl- und Migrationspolitik wird nicht funktionieren. Wir brauchen gemeinsame europäische Lösungen: Neben dem Schutz der EU-Außengrenzen und einer EU-Grenzschutzpolizei benötigen wir ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Wer nur über Grenzen und Obergrenzen spricht, offenbart seine eigene Begrenztheit.
2.2 Soziale Teilhabe
Sicherheit bedeutet ebenfalls: gesellschaftliche und soziale Spaltung überwinden und den Zusammenhalt stärken. Soziale Sicherheit beinhaltet die Themen Rente, Pflege, Wohnen und Miete, Arbeit und Bildung. Eine verlässliche und solidarisch getragene Absicherung gegen die großen Lebensrisiken gehört zur politischen DNA unserer Partei. Auch hier wollen wir bürgerfreundlicher werden: also transparenter, unbürokratischer und gerechter.
Wir wollen eine nach vorn gerichtete, zukunftsgewandte Debatte fördern. Es sollte nicht mehr primär um die Frage gehen, welchen Sozialstaat wir im Jahr 2002 gebraucht hätten, sondern welchen Sozialstaat wir im Jahr 2025 benötigen.
In unserem Land sind über 2,5 Millionen Kinder arm. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden, aus Haushalten mit Migrationshintergrund und mit Langzeitarbeitslosigkeit, aber auch Haushalte mit mehr als drei Kindern. In so einem reichen Land wie Deutschland darf das nicht sein. Deshalb müssen wir etwas tun. Eine eigenständige Kindergrundsicherung ist unser Lösungsansatz. Sie ist eine der besten Investitionen in die Zukunft, die wir tätigen können. Es soll nicht mehr viele verschiedene „Töpfe“ geben, sondern pro Kind einen festen monatlichen Betrag. Dieser unterliegt der Besteuerung nach dem Einkommensteuersatz der Eltern. Das ist unbürokratisch und gerecht. Die, die unsere Unterstützung am meisten benötigen, würden von diesem Modell am meisten profitieren.
Zusätzlich brauchen wir eine Antwort auf die drohende und bestehende Altersarmut und die Zukunft der Sozialversicherungssysteme. Soziale Sicherungssysteme sind öffentliche Verantwortung. Das Umlageverfahren der öffentlichen Rentenversicherung hat sich als besonders effektiv und als sozial stabil erwiesen. Die Rente zukunftsfest zu machen heißt somit, die gesetzliche Rente zu stärken und private Vorsorge als individuelle Ergänzung, nicht aber als notwendig erforderlichen Teil der Alterssicherung zu begreifen. Die Absicherung von Lebensrisiken darf nicht privatisiert werden. In dieser Frage stehen wir fest an der Seite breiter Bevölkerungsschichten und unterscheiden uns deutlich von den liberalen, konservativen und rechtsextremen Parteien und ihrer Vorstellung einer weiteren Privatisierung.
Mit der doppelten Haltelinie bei Rentenniveau und Rentenversicherungsbeitrag haben wir erste richtige Schritte zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht. Mittelfristig muss das Rentenniveau wieder mindestens 50 Prozent betragen. Wir müssen darüber hinaus die Rentenversicherung von der Belastung versicherungsfremder Leistungen wie der Mütterrente befreien, indem diese Leistungen sachgemäß mit Steuermitteln finanziert werden.
Das Renteneintrittsalter in Deutschland soll nach dem Willen einiger Ökonomen, Teilen der Union und der FDP auf 70 Jahre oder mehr steigen. Wir lehnen das ab, denn dies hätte zum einen Rentenkürzungen für die Menschen zur Folge, die nicht länger arbeiten können und Abschläge hinnehmen müssen. Zum anderen ist es bereits heute möglich, länger zu arbeiten und so sogar weitere Rentenansprüche zu generieren. Über eine flexiblere Gestaltung des Renteneintrittsalters in Tarifverträgen sollten darüber hinaus Möglichkeiten geschaffen werden, ohne Abschläge früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden als bisher gesetzlich vorgesehen.
Ein solidarisches Europa zeigt sich auch in der Absicherung der Menschen im Alter. Wir werden daher auch Best-Practice-Beispiele aus dem europäischen Ausland auf Instrumente zur Stärkung der gesetzlichen Rente prüfen. Eine Rente, in die unter anderem auch Selbständige, Beamte und Abgeordnete einzahlen, kann ein Baustein zur Stärkung der gesetzlichen Rente sein.
Es darf nicht sein, dass Menschen für die niedrigen Löhne während ihres Arbeitslebens im Alter erneut bestraft werden. Wir wollen, dass die Lebensleistung von Menschen anerkannt wird, auch in Ostdeutschland. Altersarmut ist kein individuelles Schicksal, sondern ein strukturelles Problem. Wir brauchen auch deshalb eine grundlegende Reform der gesetzlichen Rente. Darüber hinaus darf die Grundrente nicht in Abhängigkeit einer Bedarfsprüfung gewährt werden.
2.3 Bürgernähe
Ein bürgerfreundlicher Staat muss auf Bürgernähe und gemeinschaftliche Lösungen vor Ort setzen. Er muss seine Bürgerinnen und Bürger ansprechen, ihnen Angebote unterbreiten und Unterstützungsprozesse anstoßen.
Eine positive Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit unserem Staat geht nur über persönliches Vertrauen in unser Gemeinwesen, in die staatliche Garantie von Ordnung und Sicherheit und ein hohes Maß an individueller Serviceleistung, auf die sich jeder und jede Einzelne verlassen kann. Aus dieser positiven Identifikation kann Solidarität untereinander, Akzeptanz der staatlichen Regeln sowie die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement erwachsen.
Einen Beitrag dazu kann der Bürgerlotse leisten, ein Leitsystem durch unsere komplexe Verwaltung. Der Bürgerlotse ist eine vorgeschaltete Informationsstelle für die Bürgerinnen und Bürger, um im Dschungel der Behörden den richtigen Weg zu finden (angesiedelt zum Beispiel im Bürgeramt). Im ersten Schritt wird in einem Bürgergespräch analysiert, wo das individuelle Problem liegt, biografieorientiert und umfassend. Im zweiten Schritt erfolgt eine zielgerichtete Zuweisung an die passende Behörde, Aushändigung der zutreffenden Formulare sowie Unterstützung beim Ausfüllen. Dabei sollen Bund, Länder ebenso wie kommunale Ebenen oder Förderprogramme berücksichtigt werden. Schließlich wird im dritten Schritt nach der Antragstellung überprüft, ob der Weg erfolgreich war oder ein anderer eingeschlagen werden muss.
Das Lotsensystem wird nicht jedes Problem lösen können, aber die Bürgerinnen und Bürger erhalten die Chance, ihre Interessen und Bedürfnisse effektiver umzusetzen. Diejenigen, die Hilfe benötigen, werden an die zuständigen Ansprechpartner und Behörden vermittelt. Ihre Sorgen werden in konkretes Behördenhandeln überführt. Teilhabe ermöglichen bedeutet, jeden und jede ernst zu nehmen und in die Lage zu versetzen, die eigenen Anliegen zu verwirklichen.
3. Unsere Forderungen
- Unsere Polizei muss gestärkt werden, die öffentliche Sicherheit darf nicht privatisiert werden.
- Die solidarische, gesetzliche Rentenversicherung muss wieder der Kern unseres Rentensystems werden. Wir brauchen eine europäische Debatte zur Stärkung der solidarischen Absicherung im Alter statt weiterer Privatisierung und Erhöhung des Renteneintrittsalters.
- Die Grundrente ist ohne die Hürde der Bedarfsprüfung zu gewähren.
- Es muss eine eigenständige Kindergrundsicherung mit einem festen monatlichen Betrag pro Kind eingeführt werden, die dem Einkommen der Eltern entsprechend versteuert wird.
- Als Leitsystem durch unsere komplexe Verwaltung muss ein Bürgerlotse eingeführt werden.
Deutschlands außenpolitische Rolle in einer sich rasant verändernden Welt
1. Wo wir stehen
Die internationale Politik unserer Tage ist geprägt von einer hohen Volatilität und grundlegenden Veränderungen in den außenpolitischen Grundlinien zentraler Akteure der Weltpolitik. Die vormals stabilen transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) werden brüchiger. Geopolitische Ambitionen von Russland und China schaffen neue Konfliktlinien und wirken bis in das interne Verhältnis der EU-Staaten untereinander hinein, welches zunehmend durch Verwerfungen gekennzeichnet ist. In diesem Umfeld halten wir es für notwendig, die außenpolitische Rolle Deutschlands aktiv neu zu definieren, um internationale Politik konstruktiv mitgestalten zu können.
2. Was wir tun können
In diesem heute unsteten internationalen Umfeld sehen wir Deutschlands außenpolitische Rolle gleichsam als die des inner- wie auch außereuropäischen Mittlers und Gestalters, der zunehmend außenpolitische Verantwortung übernimmt und für eine regelbasierte internationale Ordnung eintritt. Ein souveränes Eintreten für eine verbesserte internationale Zusammenarbeit ist unseres Erachtens notwendig, um die internationale Friedenspolitik zu stärken und den Herausforderungen durch einen zunehmenden Nationalismus zu begegnen. Deutschland kann dabei mit seinem Einfluss eine wichtige Scharnierfunktion einnehmen, um zu dauerhaften Konfliktlösungen beizutragen und die völkerrechtliche Ordnung zu stärken.
2.1 Deutschland stärkt internationale Organisationen
Für uns sind die Vereinten Nationen (UN) das zentrale politische Gremium auf internationaler Ebene. Allerdings beobachten wir ein nachlassendes Engagement von Staaten im Rahmen der UN. Aus unserer Sicht muss gelten: Wenn andere Länder sich von dort zurückziehen, sollte Deutschland bereitstehen, um Verantwortung in den Gremien internationaler Organisationen zu übernehmen und die internationalen Organisationen stark zu halten sowie gegebenenfalls finanzielle Beitragsausfälle abzufedern (beispielsweise durch den Austritt der USA aus der UNESCO). Entsprechend sollte Deutschland seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied ab 2019 nutzen, um sich konstruktiv und verantwortungsbewusst einzubringen.
2.2. Deutschland fördert den internationalen Dialog und Austausch
Deutschland kann als ehemaliges Grenzland selbst einen geeigneten Ort bieten, um neue Formate des außenpolitischen Dialogs zu etablieren. Wo sich das Überkommen von vermeintlich unüberwindbaren Grenzen tief in das politische Selbstverständnis eingeprägt hat, ist für uns ein Ort, außenpolitische Akteure zusammenzubringen und Brücken zu bauen. Deutschland kann damit als Vermittler, als Scharnier agieren und seine bestehenden Beziehungen zu den unterschiedlichsten Akteuren wirksam nutzen. So kann Deutschland einen produktiven Beitrag für diplomatische Konfliktlösungen und engere internationale Zusammenarbeit leisten.
Weiterhin betrachten wir stetigen Austausch, auch in schwierigen Zeiten, als die wesentliche Voraussetzung für ein gegenseitiges Verständnis. Die EU-Austauschprogramme für Jugendliche haben deutlich gezeigt, wie aus einem solchen Verständnis die Grundlage für ein konstruktives gemeinsames Gestalten der Beziehungen zwischen Partnerländern erwachsen kann. Wir wollen daher diese Programme weiter stärken und auch in Ländern, wie zum Beispiel Russland, ausbauen, mit denen unsere Außenbeziehungen derzeit weniger harmonisch verlaufen. Vertrauen muss wachsen und für uns ist die Jugend in allen Ländern einer der besten Ansatzpunkte, um damit zu beginnen. Gleichsam wollen wir den regelmäßigen Austausch auch auf parlamentarischer Ebene forcieren und diesen breiter gestalten als er aktuell beispielsweise über die länderspezifischen Parlamentariergruppen des Bundestags stattfindet.
2.3. Deutschland handelt als Teil der Europäischen Union
Ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union ist für uns das Fundament einer souveränen deutschen Außenpolitik. Aus unserer Sicht ist Deutschland dabei ein exponiertes Bindeglied, um die Kohäsion zwischen den EU-Mitgliedsstaaten als Grundlage einer gemeinsamen, klaren Haltung nach außen wiederherzustellen. Deutschland kann nur souverän auf internationaler Ebene agieren, solange es eingebettet in die europäische Staatenfamilie ist. Souveränität bedeutet für uns dabei auch, im Verhältnis zu den Weltmächten Russland, China und USA Meinungsverschiedenheiten auszuhalten, auszutarieren und die eigene Position selbstbewusst zu vertreten. Souverän in der Welt, mit der europäischen Staatengemeinschaft im Rücken und dem Internationalismus verpflichtet.
2.4. Frieden durch Kooperation fördern
Wir wollen mit der deutschen Außenpolitik das erfolgreiche Beispiel der EU als Friedensmacht weiter in die Welt tragen. Die EU hat gezeigt, wie durch krisenfeste diplomatische Beziehungen Frieden nachhaltig gesichert werden kann und durch breite wirtschaftliche Kooperation Wohlstand in all ihren Mitgliedsstaaten generiert wird. Wir sind der Überzeugung, dass beide Faktoren zur Herstellung stabiler Verflechtungen zwischen Staaten führen, die die Option „Krieg“ politisch wie ökonomisch unattraktiv machen und dauerhafte, krisenbeständige Beziehungen etablieren. Unseres Erachtens muss dieses Primat der europäischen Politik weiterhin integraler Bestandteil der deutschen wie auch der EU-Außenpolitik sein. Deutschland steht vor der Herausforderung, einerseits Führungsverantwortung in der EU-Außenpolitik zu übernehmen und andererseits alle europäischen Partner so eng einzubeziehen, dass kein Gefühl von hegemonialer Politik entsteht. Die Bundesrepublik sollte ihre Rolle aber selbstbewusst ausfüllen.
Gleichsam ist das internationale Völkerrecht für uns das Gerüst für eine friedliche internationale Politik. Geschlossene völkerrechtliche Abkommen sind Ausdruck eines klaren politischen Bekenntnisses. Daher ist die Einhaltung solcher Abkommen für uns die Grundlage einer kooperativen internationalen Ordnung, die das friedliche Miteinander weltweit fördert. Für die deutsche Außenpolitik hat daher die Einhaltung internationaler Verpflichtungen und die Stärkung der völkerrechtlichen Ordnung oberste Priorität.
2.5. Europäische Integration vorantreiben
Unseres Erachtens muss Deutschland eine tragende Rolle einnehmen, um die Europäische Union aktiver mitzugestalten und die eigene Einbettung in die Union zu festigen. Deutschland muss zusammen mit Frankreich und mit den anderen europäischen Partnern treibende Kraft für den EU-Reformprozess sein. Dabei geht es unter anderem um die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, den weiteren Aufbau des sozialen Unionsgefüges und die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP). Im Rahmen der GASP plädieren wir für eine stärkere Kooperation sowohl im Feld der Diplomatie als auch im Bereich Verteidigung. Aus unserer Sicht sollte zum einen die Rolle des Europäischen Auswärtigen Dienstes im Verhältnis zu den nationalen diplomatischen Diensten gestärkt werden. Zum anderen sollten Initiativen wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit vertieft werden, um neue europäische Synergien zu schaffen, von denen alle Mitgliedsstaaten profitieren können.
2.6. Nachhaltigkeitsziele konsequent umsetzen
Die Weltgemeinschaft hat sich mit den Nachhaltigkeitszielen 2030 eine systematische, progressive und transformative Entwicklungsagenda aufgelegt, die alle Staaten einbindet und verpflichtet. Deutschland war und ist einer der Profiteure der Industrialisierung und der Globalisierung. Gleichzeitig hat dies zu unsozialen Verwerfungen in der deutschen Gesellschaft und darüber hinaus geführt. Wir wollen die Nachhaltigkeitsziele nach innen und außen konsequent umzusetzen, weil sie für uns die Leitschnur zur sozialen Gestaltung und Einhegung der überwiegend neoliberal gestalteten Globalisierung darstellen. Deutschland kann so den nachhaltigen Entwicklungspfad der Weltgemeinschaft entscheidend mitprägen.
3. Unsere Forderungen
- Deutschland muss sich in internationalen Organisationen, insbesondere der UN, konstruktiv engagieren, um diese zu stärken und finanzielle Beitragsausfälle durch den Rückzug anderer Staaten abzufedern.
- Ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union, die Einhaltung internationaler Verträge und die Stärkung des Völkerrechts müssen neben dem Primat der europäischen Friedenspolitik das Fundament einer souveränen deutschen Außenpolitik sein.
- Deutschland muss zwischen den EU-Mitgliedsstaaten vermitteln, um für die aktuell bestehenden Differenzen tragfähige Lösungen zu finden und eine gemeinsame europäische Haltung nach außen zu schaffen.
- Deutschland soll selbst neue diplomatische Dialogformate entwickeln und internationale Austauschprogramme, insbesondere mit Russland, fördern, um die gegenseitige Verständigung zu stärken.
- Deutschland soll sich für den Ausbau von krisenfesten diplomatischen Beziehungen und für eine breite wirtschaftliche Kooperation zur Herstellung stabiler Verflechtungen zwischen Staaten einsetzen, beispielsweise zwischen Israel und Iran, um militärische Konflikte als Handlungsoption politisch wie ökonomisch unattraktiv zu machen.
- Deutschland muss treibende Kraft für die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, den weiteren Aufbau einer Sozialunion und die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein.
- Deutschland soll sich für eine konsequente Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele einsetzen.
Berlin, den 12. Juli 2018
Dr. Wiebke Esdar, MdB
Timon Gremmels, MdB
Elisabeth Kaiser, MdB
Elvan Korkmaz, MdB
Helge Lindh, MdB
Siemtje Möller, MdB
Falko Mohrs, MdB
Josephine Ortleb, MdB
Johannes Schraps, MdB
Michael Schrodi, MdB
Dr. Manja Schüle, MdB
Marja-Liisa Völlers, MdB