Siemtje Möller, MdB
Mitglied im Verteidigungsausschuss
Mitglied im Petitionsausschuss
Mitglied im Landesvorstand der SPD Niedersachsen
Dr. Wiebke Esdar, MdB
Mitglied im Finanzausschuss
Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Mitglied im SPD-Parteivorstand
Unterbezirksvorsitzende SPD Bielefeld
Weg von selbstmitleidigen Schaufenster-Debatten, hin zur programmatischen Arbeit – Wir werden gebraucht!
Die Sozialdemokratie war stets die Partei der Aufsteiger. Nicht die Herkunft, nicht das Geschlecht, nicht die Kassenlage der Eltern sollten über die Zukunft der Kinder entscheiden, sondern ihr eigenes Talent, ihre Leistungsbereitschaft, ihre Leidenschaft. Wir waren die Partei, die in Deutschland den Traum von Aufstieg durch Bildung wahr werden ließ, die dafür gesorgt hat, dass diejenigen, die hart arbeiteten, ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen und ohne große finanzielle Sorgen alt werden konnten. Unser Markenkern ist der soziale Frieden durch die Schaffung von Aufstiegschancen. Unsere Erzählung, dass es sich lohnt, nach höherer Bildung zu streben und hart zu arbeiten. Wir waren diejenigen, die die Grundvoraussetzungen dafür geschaffen haben, dass Teilhabe an wirtschaftlichem und sozialem Wohlstand möglich war.
Diese Erzählung droht uns nun abhanden zu kommen. Und deshalb ist die aktuelle Krise der SPD so existenziell. 62 Prozent der Wählerinnen und Wähler wissen laut Infratest dimap nicht, wofür wir stehen. Das ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich, denn das Bild der Sozialdemokratie wird nicht von einer stimmigen Erzählung geprägt. Sondern von Talkshow-Auftritten unglücklich wirkender FunktionärInnen, von Besserwissereien Ehemaliger, die schon lange die Parteiarbeit eingestellt haben und von GenossInnen, die radikal sein wollen, aber in der Abstraktheit ihrer Äußerungen an den tatsächlichen Lebensumständen vorbeiargumentieren. Von Diskussionen darum, wie wir uns gegenseitig finden, wer was an die Presse gegeben hat, und wie sehr man mit diesem oder jenem ja schon immer recht hatte. Das alles unterläuft nicht nur die gute Arbeit unserer Fachabgeordneten und AmtsträgerInnen auf allen Ebenen, sondern erst recht die aufopferungsvolle Leistung unserer Hundertausenden von Ehrenamtlichen.
Es ist richtig und gut, über die bestehenden Verhältnisse auch radikal kritisch nachzudenken. Aber anstatt die für weite Teile der Bevölkerung unverständliche Systemfrage zu stellen, brauchen wir eine smarte, eine umsetzbare Kapitalismuskritik. Lieber konkrete, realisierbare, progressive Verbesserungsvorschläge zur Einhegung der marktradikalen Auswüchse des Kapitalismus, als sich in überakademischen Debatten zu verlieren, die doch nur wieder innerhalb der Partei geführt werden und den Muff der 70er Jahre atmen. Die „umsetzbare Kapitalismuskritik“ kann im Übrigen auch die Dauertraumatisierung der SPD von der Agenda 2010 endlich therapieren: Lasst uns konkret über die Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, über die Anhebung des Spitzensteuersatzes, über die Abgeltungssteuer, über die Sinnhaftigkeit von Beitragsbemessungsgrenzen, und und und streiten – aber nicht die Systemdebatten von vorgestern führen.
Die SPD hat nicht nur ein Vermittlungsproblem. Die sozialdemokratische Parteienfamilie kämpft weltweit um die Erneuerung ihrer Grundidee, ihrer Erzählung, die zu Zeiten der Industrialisierung geschaffen wurde. Diese Erzählung ist nicht nur vom immensen technologischen und sozialen Wandel unserer Zeit herausgefordert, sondern auch von der profunden Verunsicherung unserer Gesellschaften. Die Menschen haben heute Angst vor dem Wandel, weil sie nicht sehen, wie er ihr Leben verbessern soll - sie verlangen zu Recht Orientierung und Gestaltung.
Sich dieser Angst zu stellen und der sich wandelnden Gesellschaft Orientierung zu geben, das ist Aufgabe der Sozialdemokratie. Wir stehen vor fundamentalen Veränderungen, die grundlegende gesellschaftliche Fragen aufwerfen. Antworten auf diese Fragen zu finden, bei diesem Wandel die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen Orientierung zu bieten – das ist unsere Verantwortung. Dabei stehen wir auf der Seite der Schwachen und Verängstigten und müssen Aufstiegschancen für alle schaffen.
Wenn wir diejenigen sein wollen, bei denen die Menschen Zuversicht und Chancen auf eine bessere Zukunft finden, dann müssen wir die heutigen Ängste der Menschen genauer anschauen, um für sie erlebbare sozialdemokratische Lösungen anbieten zu können. Dafür ist es unerlässlich, sich die heutigen Herausforderungen genauer anzuschauen, denn nur so stellen auch wir uns den drängenden Fragen der Zeit und nur so kann es gelingen, die Lücken in unserem Angebot an die Gesellschaft zu schließen.
Zurecht wird in diesen turbulenten Zeiten von erfahrenen und erfolgreichen Wahlkämpfern wie Stephan Weil betont: „Die SPD muss sich auf Themen konzentrieren, die die Menschen wirklich bewegen“. Themen, die unmittelbar mit der Verunsicherung durch den fundamentalen Wandel der Welt zusammenhängen: die tiefgreifende Veränderung der Wirtschaft durch die Herausforderung, die der Klimawandel mit sich bringt und die damit einhergehende empfundene Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes in der Zukunft, Mietenexplosion und Wohnungsbau, Digitalisierung und der damit verbundene fundamentale gesellschaftliche Wandel, öffentliche Daseinsvorsorge wie Pflege und medizinische Versorgung und natürlich ein starkes, funktionierendes Europa. Und die SPD muss sich genau mit diesen Themen beschäftigen, da wir dort viele ungeklärte Fragen haben, aber zugleich nur wir die verantwortungsvolle und zutiefst sozialdemokratische, versöhnende Rolle einnehmen können, die unsere Gesellschaft so dringend braucht.
Wenn wir uns dem nicht stellen, werden wir zerrieben zwischen linkem Öko-Populismus und rechtem Angstmachen. Lasst uns nicht vergessen: Es waren wir, die SPD, die immer den vernünftigen Weg beschrieben haben und gegangen sind, während andere bei der Formulierung der Ziele mit dem realistischen Denken aufhören.
Digitalisierung - Bildung ist der Aufstiegsmotor
Bildung ist DER Grundpfeiler für eine Gesellschaft, die das Versprechen von Chancengleichheit und Aufstieg verwirklichen will. Unser (Aus-)Bildungssystem war bisher - bei all seinen Fehlern - das Fundament für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand. Das Versprechen von Aufstieg durch Bildung hat zu Lust am Lernen, zu Leistungsbereitschaft und zu Verwirklichung von Potenzialen und Träumen unabhängig vom Geldbeutel geführt.
Aber durch die Digitalisierung verändern sich nicht nur Arbeitsprozesse, Jobbeschreibungen oder gar ganze Branchen. Digitalisierung verändert schon jetzt grundlegend die Gesellschaft. Diese Veränderung verursacht Ängste: Menschen fühlen sich dem rasanten technischen Wandel nicht mehr gewachsen, fühlen sich überfordert mit veränderten Arbeitsabläufen, stehen den Umbrüchen durch die Digitalisierung besorgt gegenüber. Unser Bildungssystem gerät hier an seine Grenzen, denn es bereitet die Menschen nicht ausreichend auf diese Herausforderungen vor. Digitalisierung wird dadurch zur Bedrohung statt zur Chance.
Diesen Ängsten können wir über einr neu ausgerichtete Bildungsoffensive begegnen: Die Digitalisierung selbst bietet die Chance, gesellschaftliche Veränderungen, die sie anstieß, auch zu meistern. Wer früh lernt, Technik zu nutzen und die Chance darin zu sehen, der wird nicht ängstlich zurückschrecken, sondern mutig die Chancen ergreifen und daraus Kreativität und Wissenshunger schöpfen. Und wenn wir Bildung so denken, dass wir unsere Kinder fit machen wollen für die kommenden Herausforderungen, dann müssen wir Digitalisierung zwingend zu der anderen Seite unserer sozialdemokratischen Bildungsmedaille des sozialen Aufstiegs machen. Wir dürfen die Chancen der Digitalisierung nicht den Neoliberalen und ihren spalterischen Zielen überlassen, sondern müssen diese durch Bildung zum Kern des sozialen Friedens in unserem Land machen.
Nur wer Bildung konsequent digitalisiert denkt und die Chancen der Digitalisierung begreift, wird die Gesellschaft gestalten und das Potenzial wecken können. Nur dann werden wir das sozialdemokratische Versprechen von Aufstieg und Wohlstand durch Bildung erneuern.
Migration rechtsstaatlich und emphatisch begleiten
Kaum ein Thema spaltet unsere Gesellschaft so sehr, wie die Herausforderung der Migration und Integration. Jenseits der oft von Rassisten geschürten Angst vor angeblicher Überfremdung und Identitätsverlust schürt die Migration Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg, gerade bei den Schwächeren unserer Gesellschaft. Die Antwort auf diese Ängste liegt nicht allein im Kampf gegen Rechts. Der Sozialdemokratie kommt in dieser Frage die historische Rolle der Versöhnerin der gesellschaftlichen Mitte zu. Eine Aufgabe, die alle anderen Parteien nicht erfüllen wollen, weil sie in dieser so relevanten Frage unserer Zeit ideologisch aufladen und davon profitieren, dass sie jeweils auf einer Seite der Gesellschaft polarisieren. Es ist an uns, hier die Gesetzeslage menschenwürdig zu gestalten und zugleich für eine Spürbarkeit des Rechtsstaates zu sorgen. Viele BürgerInnen sind enttäuscht von der Überforderung der Justiz durch fehlendes Personal und mangelnder Durchsetzung von Ausweisungen bei Straffälligkeit. Sie sind auch enttäuscht, wenn die Regeln, die unsere Gesellschaft zu einer offenen und freien Gesellschaft machen sollen, vehement abgelehnt und ausgenutzt werden. Zugleich sind viele BürgerInnen betroffen, wenn aufgrund mangelnden Ermessensspielraums, bürokratisch aufgebauter Integrationshemmnisse oder unnötiger Härte gegenüber Familien die Falschen abgeschoben werden und Schutzmöglichkeiten verwehrt bleiben. Wenn wir diese zwei Wirklichkeiten mit weitem Herz und kühlem Kopf zusammenführen, dann können wir unsere Gesellschaft wieder näher zusammenbringen und aus der aktuellen Spaltung herausführen.
Auf der einen Seite muss die Durchsetzung des Rechtsstaats wieder spürbar sein. Das geht nur durch die rechtsstaatliche Konsequenz im Einzelfall, wo sie nötig ist. Nicht jede Abschiebung ist ein Härtefall; wer kein Recht auf einen Aufenthalt in Deutschland hat, muss das Land verlassen. Dies umzusetzen ist unsere Rechtslage. Ein funktionierender Staat zeigt sich darin, dass er geltendes Recht auch umsetzt. Es gefährdet das gesellschaftliche Miteinander, wenn StraftäterInnen ungeschoren Recht brechen können.
Diese Klarheit muss einhergehen mit der großzügigen Gewährung des Asyls für politisch Verfolgte nach Artikel 16 des Grundgesetzes, mit Abschiebeschutz für Schutzbedürftige, mit vollständiger Umsetzung der internationalen Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention wie der Pflicht zur Rettung von Seenotleidenden nach dem internationalen Seerecht.
Es ist gerade deshalb ein großer Erfolg, dass nach 20 Jahren, die wir dies gefordert haben, Deutschland ein modernes Einwanderungsgesetz bekommt und ein legaler Einwanderungsweg jenseits des Asylstatus eröffnet werden kann. Dieses historische Gesetz wird Deutschland verändern und dieses Gesetz haben wir durchgekämpft. Es eröffnet einen rechtlich eindeutigen und sicheren Einwanderungsweg verbunden mit der Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten. So müssen wir weiter gehen.
Wir müssen in der Debatte um Migration den Argumenten des geltenden Rechts wieder stärkeres Gewicht verleihen. Empathie und Rechtsstaatlichkeit: Nur wer beides proklamiert, führt die Gesellschaft hier zusammen. Union und FDP, getrieben von der AfD, polarisieren hier genauso wie Grüne und Linkspartei. Wir sind die Partei, die für die Versöhnung und für eine klare und zugleich menschliche Herangehensweise plädieren muss, damit wir zu einem neuen sozialen Miteinander in Deutschland kommen können. Dem Miteinander zwischen denjenigen, die hier geboren wurden und denjenigen, die zumindest temporär zu uns gekommen sind.
Sozialer Klimawandel jetzt!
Gerade nach den demütigenden Ergebnissen der letzten Wahlen hat die Forderung nach einem „Mehr an Klimaschutz“ auch bei uns Konjunktur. Das ist gut. Bisher haben wir uns diesem Thema als SPD sehr konfrontativ genähert: Die eine Seite argumentierte mit dem sicherlich notwendigen Umschwenken in der Klimapolitik, die andere Seite stellte sich berechtigterweise hinter die Industriezweige, die Deutschland technisch führend und zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt gemacht haben. Es muss die Aufgabe der Sozialdemokratie sein, hier richtungsweisende Antworten zu geben. Wir müssen die Wirtschaft so umbauen, dass weder die Menschen zu Sündenböcken gemacht werden, die jahrzehntelang in diesen Industriezweigen gearbeitet haben, noch dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes aufs Spiel gesetzt wird. Wenn das unsere Leitlinie ist, dann wird uns in Zukunft auch eine Positionierung bei so schwierigen Themen wie beispielsweise Hambacher Forst oder VW-Skandal leichter fallen, weil wir Lösungsvorschläge anbieten können. Wir dürfen keine Zeit verlieren, Umwelt- und Industriepolitik sinnvoll zusammenzuführen.
Es liegt an der SPD, die die Sorgen und Ängste der Menschen um Natur und Wohlstand gleichermaßen anerkennen muss. Daraus muss sich unser Handeln speisen. Nicht rückwärtsgewandt und Ängste schürend, sondern ernstnehmend und zukunftsweisend!
Zugleich halten uns die Menschen berechtigterweise vor, dass auf uns kein Verlass sei. Zu oft haben wir reflexartig nach Wahlen einzelne Forderungen aufgegriffen und sie uns für wenige Tage oder Wochen zu Eigen gemacht - auch das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei. Unsere Vorschläge müssen fundierter, tragfähiger und richtungsweisender werden und wir müssen sie in einen Gesamtzusammenhang stellen, gerade wenn es um Umwelt- und Beschäftigungspolitik geht.
Für eine wehrhafte Friedenspolitik
In unserer Partei sind wir besonders gut darin, die Welt in idealen Zielvorstellungen zu beschreiben und verkennen darüber die Realität; oft so sehr, dass es fast unmöglich scheint, sich über die Unordnung in der Welt, über die kriegerischen Akte und die sich anbahnenden Konflikte in der Tiefe nüchtern auszutauschen. Das bloße Formulieren eines Friedensanspruchs befriedet aber keine grausamen Kriege und Konflikte, löst auch keine Hungersnöte und macht Europa auch nicht zu einem friedenschaffenden Kontinent. Während bei anderen Parteien diese Utopie zu politischem Programm wird, muss es die SPD sein, die über diesen bloßen Anspruch hinausdenkt und konkrete Vorschläge zu einem geeinten und wehrhaften Europa macht. Es muss auch die deutsche Sozialdemokratie sein, die Deutschlands Rolle in der Welt neu ausbuchstabiert.
Die internationale Unordnung braucht eine starke Europäische Union mit einer effizienten Diplomatie. Europa ist in seinem Aufbau einzigartig und spricht in der Welt der internationalen Politik auch eine einzigartige Sprache. Frieden, Wohlstand, Ausgleich durch Demokratie und Zukunftsgewandtheit sind der Kern von Europa, es ist das was uns prägt und unseren Alltag hintergründig bestimmt. Es ist aber zugleich auch das, was wir schützen müssen, um es für die Zukunft zu erhalten - das erfordert mehr als leere Worte, das erfordert den klaren Willen und die feste Ausstrahlung, am Ende auch genau dafür einzustehen und es gegen Unordnung zu verteidigen. Diesen Willen zur Wehrhaftigkeit strahlt Deutschland aber momentan nicht aus.
In diesen Zeiten von politischer und ideologischer Unordnung ist es die Sozialdemokratie, die mit der Stimme der Vernunft sprechen muss; wohlwissend um die doppelte historische Verantwortung gegenüber unserer Vergangenheit und der gemeinsamen Zukunft für Europa und die Welt. Diese Verantwortung wollen wir annehmen und mit Leben füllen!
Es ergibt sich für Deutschland eine besondere Situation: Wir sind wirtschaftlich stark im Herzen von Europa. Wir sind von unserem mächtigsten Verbündeten, den USA, aufgefordert, eine aktivere Rolle in Europa und der europäischen Säule der NATO zu übernehmen. In dieser Situation dürfen wir nicht zulassen, dass über ein sich vergrößerndes Missverstehen innerhalb der Europäischen Union, dem wichtigsten Garanten für unseren Frieden und Wohlstand, die Einigungsfähigkeit Europas verloren geht. Wir brauchen kritischen Dialog und eine Wiederbelebung der Ost-Politik mit unseren osteuropäischen Partnern. Nur wenn es uns gelingt, bei all den politischen Schwierigkeiten vor allem mit Polen, Lettland, Litauen und Estland wieder in ein strategisches und konstruktives Gespräch zu kommen, hat die europäische Säule in der NATO und auch die Europäische Union eine Zukunft. Die osteuropäischen Länder fühlen sich mit der von ihnen empfundenen Bedrohung durch Russland von uns alleine gelassen, weil wir aus ihrer Sicht unsere frühere Mittlerrolle aufgegeben haben. Deutschlands Position in der NATO war früher stark, weil es uns gelungen ist, die westeuropäischen und amerikanischen Interessen zu verstehen und zu unterstützen – und zugleich die kleineren Mitgliedsstaaten in Westeuropa verständigend einzubinden. Da das Sicherheitsempfinden für die osteuropäischen Länder bestimmend ist, strahlt das zerrüttete Verhältnis in der NATO auf die Europäische Union ab und wird zur ernsten Bedrohung für die Zukunft dieses einzigartigen Projektes.
Wir haben eine besondere Verantwortung, Deutschland zu einem besonnenen und einflussreichen Akteur in der internationalen Politik zu machen, um diese Rolle zu nutzen, um all unseren Einfluss zum Wohle der Welt geltend zu machen. Wenn Europa mit einer starken Stimme in der Welt und der NATO sprechen soll, dann muss Deutschland seinen Teil beitragen und Führung zeigen: Fest an der Seite unserer Partner, innerhalb der Bündnisse, klar gegenüber Russland.
Wer Europa erhalten will, der muss sich Gedanken darüber machen, wie es in Zukunft bestehen kann und zwar nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Das geht nur, wenn wir selbstbewusst und wehrhaft für die europäische Idee und eine regelbasierte Weltordnung eintreten.
Mutmacher sein!
Wir müssen der Gesellschaft Mut machen - es darf nicht umgekehrt sein! Unser Motto sollte sich verändern vom derzeitigen „So geht das alles nicht“ hin zu einem „Gemeinsam schaffen wir das“. Dafür braucht es einer Erneuerung unserer gesellschaftlichen Bündnisse. Unsere natürlichen Partner, die Gewerkschaften, haben in den letzten Jahren eine sehr verantwortliche Rolle als Tarifpartner gespielt, diese aber nach innen oft mit einer Verbalrabulistik kompensiert, die in erster Linie der Linkspartei geholfen hat. Auch unsere Errungenschaften, die wir mit heißem Herzen durchgekämpft haben, wie der gesetzliche Mindestlohn, zahlen dabei auf das Konto der Linkspartei ein - oder auf das der Kanzlerin. Dabei war es weder die Linkspartei noch die CDU, die den gesetzlichen Mindestlohn, die Brückenteilzeit, die Rentenfestschreibung, das Rückkehrrecht in Vollzeit, das Entsendegesetz auf EU-Ebene, die Stärkung von frühkindlicher Bildung, die Einführung von Frauenquoten in Aufsichtsräten, die Subunternehmerhaftung bei Paketdienstleistern, das erste deutsche Einwanderungsgesetz und vieles mehr eingeführt haben, sondern wir, die stolze Sozialdemokratie! Diese historischen Errungenschaften waren entgegen der öffentlichen Wahrnehmung und auch der Vereinnahmung durch die politischen Gegner nicht selbstverständlich - die haben wir den Konservativen abgerungen. Ohne uns gäbe es diese wegweisenden Veränderungen schlicht nicht. Wir müssen aufhören, unsere Errungenschaften bei der leisesten Kritik zu vergessen und in die Klagelieder mit einzustimmen. Wir müssen unseren gesellschaftlichen Partnern klarmachen, dass diese grundlegenden Verbesserungen nur durch uns realisiert werden konnten und nur wir auch zukünftig der richtige Partner für solche Veränderungen sein werden - statt bei jeder noch so kleinlichen Kritik immer wieder in Sack und Asche zu gehen. Es braucht Mut und Selbstbewusstsein - und Freude am Handeln.
Das Wiedererstarken der SPD beginnt dabei nicht im Willy-Brandt-Haus. Es kommt von unten. Wir müssen unsere Unterbezirke und Ortsvereine stärken und sie gleichzeitig ermutigen, nicht im Hinterzimmer zu verharren. Niederlagen bei Kommunenwahlen sind weit schmerzvoller als alle anderen. Die Stärke der SPD war immer die starke Verankerung vor Ort - da müssen wir wieder hin. Landtagswahlen werden nicht gewonnen, weil der/die SpitzenkandidatIn Mitglied im Parteivorstand ist. Wahlen werden gewonnen, wenn der/die SpitzenkandidatIn vor Ort getragen und verstanden wird, weil Inhalte, Sprache, Auftreten und Zuhören stimmen.
Die SPD muss sich ihrer Rolle bewusst werden: Wir sind nicht zum Selbstzweck da, sondern weil es diesem Land und der Welt besser geht, wenn wir stark sind und regieren. Wir müssen die Herausforderungen der Zeit annehmen! Es sind nicht die Grünen und ihre pomadigen Ansprachen, die dieses Land retten, sondern wir, die wir in unserer Geschichte so oft gezeigt haben, dass wir Gegenwind aushalten, eigene Widersprüche demokratisch bearbeiten und Antidemokraten klar entgegentreten. Wir sind die, die den oft mühseligen Weg beschreiben und gestalten, weil die Ziele klar definiert sind. Die Halt geben, wenn die Welt in Unordnung geraten ist. Die Zeiten sind unsicher und hart. Aber die Aufgaben, die als Gesellschaft auf uns warten, machen sie zu unseren Zeiten – zu Zeiten der SPD. Es liegt an uns, ob wir die Herausforderungen meistern oder ob wir uns einem Zeitgeist kraftlos hingeben wollen. Lasst uns voran gehen – mit heißem Herzen, zum Wohle des Landes und zum Wohle Europas!