- Der FSJ´ler Nelis berichtet -
Okay, ich gebe es zu. Die Überschrift ist mutig. Manch einer würde angesichts der aktuellen Situation gar sagen, sie ist utopisch. Tatsächlich aber ist sie wahr. Meine ersten 100 Tage sind voll und die SPD hat mich schon ins Kanzleramt gebracht. Ich habe schon einmal mein zukünftiges Büro sondiert und überlegt, wo ich welche Bilder aufhängen werde. Okay, der war einer zu viel. Ist ja gut.
Aber auch nur der letzte Satz. Ich bin für die SPD ins Kanzleramt marschiert, das ist eine Tatsache. Möglich gemacht hat das das SPD-Praktikantenprogramm, welches die Bundestagsfraktion für PraktikantInnen, FSJler und studentische Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion organisiert. Dank dieser Initiative habe ich in meinen ersten hundert Tagen als FSJ-Pler in Wiebkes Büro herausragende Einblicke in die Arbeitsweise in Berlin bekommen. Es geht dabei um Führungen und Besichtigungen in politischen Schauplätzen wie eben dem Kanzleramt, dem Willy-Brandt-Haus, dem Bundesrat, dem Auswärtigen Amt und vielem mehr. Dazu kommen dann noch Fokus-Gespräche mit einzelnen Abgeordneten und externen Gästen sowie Besuche bei der Bundespressekonferenz.
Gerade als wir mit unserer Gruppe das Gelände des Kanzleramts betreten wollen, kommen zwei Frauen heraus und halten uns auf. Aus dem Innenhof sehen wir zwei schwarze Dienstwagen auf uns zu rollen, und tatsächlich fährt dann genau vor unserer Nase der Tross der Kanzlerin her. Angie selber sitzt im ersten Wagen hinten rechts. Ich erinnere mich an meine Kindheit und wie im schwarzen Wagen, der damals vor meiner Nase her gerollt ist, hinten rechts nicht die deutsche Regierungschefin, sondern mein Bruder saß. Tja, Zeiten ändern sich.
Als wir dann drinnen sind, erhalten wir eine kurze Einweisung vom unserem Guide: „Falls sie Taschen oder Jacken ablegen möchten, können sie das hier im Raum auf der rechten Seite tun. Ich muss allerdings dazu sagen, dass die Tür nicht verschließbar ist und der Raum auch nicht von einer extra Person bewacht wird. Aber machen sie sich keine Sorgen, dass hier etwas weg kommt: Wir befinden uns im sichersten Gebäude der Republik.“ Statement. Und wir dachten, wir wären cool wenn wir im Reichstagsgebäude rumlaufen. Dass die Führung an sich im Anschluss absolut überwältigend war, ist denke ich selbstverständlich.
Ein weiteres absolutes Highlight war für mich der Besuch einer Regierungspressekonferenz. Ganz egal, was die Bundeskanzlerin gerade für eine Politik macht und wie die Arbeit der Regierung zu beurteilen ist: Steffen Seibert ist einfach nur ein unfassbar beeindruckender Typ. Wenn der Regierungssprecher den Mund aufmacht, sitzt jedes Wort zu hundert Prozent. Kein Verhaspeln, keine überflüssigen Füllwörter, nichts. Es hat großen Unterhaltungswert, dabei zuzusehen wie manch ein Sprecher eines einzelnen Ressorts auf eine spezifische Frage eines Journalisten in äußerste Bedrängnis gerät, rot anläuft und schwitzend und stotternd eine ausweichende Antwort zusammenzuschustern versucht, nur um dann vom wie gestriegelt auftretenden Regierungssprecher mit einem perfekt artikulierten Statement gerettet zu werden. Wenn Steffen Seibert den Mund aufmacht, ist jeder Satz 1:1 zitierfähig. Ob das für die inhaltliche Diskussion so vorteilhaft ist, sei mal dahingestellt.
Die andere Möglichkeit erlebe ich nämlich bei den wöchentlich organisierten Fokus-Gesprächen des PraktikantInnenprogramms: Wenn Abgeordnete oder externe Gäste zum Gespräch vorbeikommen, gilt die Chatham House Rule. Diese verbietet es allen Teilnehmern, den Gast direkt zu zitieren und ermöglicht enorm offene und freie Gesprächsrunden. So diskutierten wir angeregt mit Generalsekretär Lars Klingbeil über die Erneuerung der Partei, analysierten mit Michael Schrodi die verlorene Landtagswahl in Bayern, sprachen mit Barbara Hendricks über die Autoindustrie, evaluierten mit Matthias Miersch die Umweltpolitik, blickten mit Thomas Hitschler hinter die Kulissen der Bundeswehr und vieles, vieles mehr. Es kommt noch so viel mehr mit Gästen zu allen relevanten Ressorts der Bundespolitik – ich freue mich bei jedem Termin aufs Neue, über den Tellerrand hinauszublicken und die Ansichten von weiteren Akteuren des politischen Berlins dank der Chatham House Rule sehr offen und ehrlich kennen zu lernen. Manchmal denke ich, wenn alle Politiker jederzeit und überall so offen und direkt sprechen würden, wie sie es unter der Chatham House Rule im SPD-Praktikantenprogramm tun, wären wir alle einen großen Schritt weiter.