Die Grundrente - Respekt für ein ganzes Leben

In Deutschland galten im Jahr 2016 etwa 17 Prozent der Menschen über 65 Jahren als armutsgefährdet – für ein so wohlhabendes Land politisch nicht bloß eine äußert alarmierende, sondern vor allem auch eine beschämende Zahl. Als Sozialdemokratin kann ich es kaum ertragen, zum Beispiel immer wieder beobachten zu müssen, wie ältere Menschen in abgetragener Kleidung und trotz körperlicher Beschwerden Flaschen sammeln, um ihr schmales Einkommen aufzustocken. Ich finde es schockierend, dass immer mehr ältere Menschen, trotz eines langjährigen Berufslebens, auf die Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen sind. Ebenso schockierend ist für mich der Gedanke, dass viele von ihnen sich aus Scham nicht trauen, das Sozialamt aufzusuchen, sondern mit ihren niedrigen Renten in bitterer Armut leben. 

 Wir als Sozialdemokratie wollen diese zunehmende Verelendung im Alter nicht hinnehmen, sondern handeln. Deshalb hat Hubertus Heil, unser Arbeitsminister, der Bundesregierung im Juli vergangenen Jahres seinen Vorschlag für eine Grundrente vorgelegt. Mit unserem neuen Grundrentenkonzept wollen wir Menschen den Respekt zollen, den sie verdienen. Das gilt gerade für diejenigen, die ein ganzes Berufsleben lang gearbeitet haben und dennoch unter Altersarmut leiden. Jede und jeder verdient die Grundrente, wenn sie oder er die Voraussetzungen erfüllt – lange gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt.  

 Es geht darum, Leistung anzuerkennen 

Für uns ist die Grundrente eine Frage des Respektes und des Verdienstes. Deshalb fordern wir, dass Anspruchsberechtigte nicht erst noch durch lange und komplizierte Bürokratieverfahren überprüft werden sollen. Für uns geht es nicht darum, eine Sozialleistung lediglich mit einem neuen Etikett oder einem anderen Namen zu versehen. Für uns geht es vielmehr darum, Leistung anzuerkennen – unabhängig von Bedürftigkeit. Deshalb widersprechen wir auch dem oft von der Opposition und den Konservativen vorgebrachten Argument, es reiche ja aus, wenn der Ehepartner eine ausreichend hohe Rente bezöge. Wir widersprechen der Forderung, die sprichwörtliche Zahnarztgattin dürfe aufgrund des hohen Verdiensts ihres Partners keine Grundrente beziehen. Solche und ähnliche Argumentationslinien verfehlen den Kern der Grundrentenidee: Anerkennung und Respekt für erbrachte Leistungen; für den Beitrag, den jede und jeder Erwerbstätige zum Funktionieren unserer Gesellschaft leistet.  

Mit der Grundrente möchten wir deshalb nicht zuletzt dem Kernversprechen des Sozialstaats Rechnung tragen. Die Leistungen jeder und jedes einzelnen sollen unabhängig von Ehepartnerin oder Ehepartner bewertet und anerkannt werden. Dadurch werden insbesondere Frauen deutlich unabhängiger. 

 Insgesamt werden von unserem Grundrentenkonzept drei bis vier Millionen jetzige und zukünftige Rentnerinnen und Rentner profitieren. 

 

Doch wie genau wird der Zugewinn durch die Grundrente aussehen? Hier einmal zwei konkrete Beispiele: 

 Eine Friseurin, die 40 Jahre auf Mindestlohnniveau (9,19 Euro pro Stunde) gearbeitet hat, bekommt aktuell 513 Euro Rente im Monat. Ich finde, das ist beschämend wenig, viel zu wenig. Dagegen bekäme sie mit dem vorgeschlagenen Modell der Grundrente 961 Euro. Das finde ich gerecht. 

 Einen ähnlichen Sprung gäbe es bei einem alleinerziehenden Pflegehelfer, der in Zwei-Drittel-Teilzeit gearbeitet hat, auf 35 Beitragsjahre kommt und zusätzlich sechs Jahre Kindererziehungszeit angerechnet bekommt. Er erhält aktuell 865 Euro Rente im Monat. Mit dem vorgeschlagenen Modell der Grundrente bekäme er jedoch 1090 Euro.  

 

Um zu verhindern, dass Grundrente und andere Unterstützungsleistungen in der Vergabepraxis gegeneinander ausgespielt werden können, wollen wir als SPD zudem verschiedene Freibeträge einführen: Zum einen wollen wir einen Freibetrag beim Wohngeld schaffen und die entsprechenden Miet- und Einkommensgrenzen regelmäßig anpassen. Zum anderen fordern wir einen Freibetrag in der Grundsicherung, sodass gewährleistet ist, dass das Alterseinkommen langjährig Versicherter in jedem Falle über der Grundsicherung liegt – auch, wenn der Zuschlag durch die Grundrente einmal nicht ausreichen sollte, um das monatliche Einkommen einer Rentnerin oder eines Rentners über das Niveau der Grundsicherung zu heben. 

 Finanzpolitisch sinnvoll 

Als Finanzpolitikerin ist mir wichtig, dass wir ökonomisch klug handeln. Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten vor allem auf Export gesetzt, während die Reallöhne lange Jahre unverändert blieben. Das Ergebnis: ein riesiger Exportüberschuss und eine zu geringe Kaufkraft der Deutschen. Damit sind wir stark davon abhängig, dass andere Länder unsere Produkte kaufen. Um gegenzusteuern, brauchen wir deshalb eine stärkere Nachfrage im Inland. Die Mittel, die im Rahmen der Grundrente umgelegt werden sollen, können dazu einen wichtigen Beitrag leisten: Sie werden die Kaufkraft von Rentnerinnen und Rentnern steigern und so zu einem Wirtschaftsaufschwung beitragen. 

 Längerfristig gesehen müssen wir zudem entschieden gegen schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit vorgehen. Im Gegenzug brauchen wir mehr Arbeitsverhältnisse mit Tarifvertrag, damit in Zukunft nicht immer mehr, sondern immer weniger Menschen auf die Grundrente angewiesen sind. Denn: Nichts schützt besser vor Altersarmut als sichere Arbeitsplätze und faire Löhne. 

Darüber hinaus ist die Grundrente für mich maßgeblich auch eine Frage der Generationengerechtigkeit und damit ebenso der Chancengleichheit: Denn wir hinterlassen unseren Kindern nicht bloß einen Kontostand, sondern wir vererben auch Chancen. Deshalb dürfen wir unser Land nicht kaputtsparen, indem wir um jeden Preis an der „schwarzen Null“ festhalten. Vielmehr müssen wir in Infrastruktur und Bildung investieren. Statt Steuern für Vermögende und hohe Einkommen zu senken, müssen wir dabei starke Schultern mehr belasten. Denn wir würden am falschen Ende sparen, den wahren Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern unserer Gesellschaft kein anständiges Auskommen zu gönnen, wenn sie in ihrem verdienten Ruhestand sind. Anstatt den jüngeren Generationen das Zeichen zu geben, dass ein 35-jähriges Berufsleben im Zweifelsfall nicht mehr Wertschätzung verdient, als ein Leben ohne Arbeitsalltag, muss das Signal an alle sein: Arbeit lohnt sich nicht nur im Hier und Jetzt, sondern zahlt sich auch im Alter aus. 

 Anders als die CDU/CSU, die beispielsweise fordert, den Solidaritätszuschlag auch für die oberen 10 Prozent der Einkommen abzuschaffen, möchten wir mit unserem Grundrentenkonzept einen wichtigen Beitrag leisten: nicht nur zu einer erfolgreichen Wirtschaft, sondern auch zu einer funktionierenden, generationsübergreifenden Solidargemeinschaft. Steuergeschenke für Spitzenverdienerinnen und -verdiener hingegen empfinden wir nicht bloß als ungerecht, sondern überdies auch unsinnig, weil sie lediglich die Ersparnisse der Reichen erhöhen.  

Deshalb wird in der Grundrentendebatte einmal mehr deutlich, wer sich in der Koalition ernsthaft für eine sozialere, gerechtere Gesellschaft einsetzt und wer lieber die Eliten und Reichen fördern will. Für uns als Sozialdemokratie ist klar: Wir möchten mit der Grundrente jede und jeden mitnehmen. Wir möchten, dass alle von dem Wohlstand unserer Gesellschaft profitieren und dass die, die finanziell mehr für das Gemeinwohl geben können, dies auch tun.

 Dieser Artikel stammt aus der zweiten Ausgabe meiner Wahlkreiszeitung “Die Bielefeld Idee”. Zur gesamten Ausgabe gelangt ihr hier.