- Der Praktikant berichtet -
Viele offene Fragen stellten sich vor dem Bundesparteitag der SPD in Berlin: Wie soll der Erneuerungsprozess gestaltet werden? Große Koalition ja oder nein? Oder doch die Tolerierung einer CDU geführten Minderheitsregierung?
In diesen drei Tagen wurde leidenschaftlich und offen debattiert. Und mitten drin statt nur dabei: Ich, Julius, (noch) 18 Jahre jung und momentan Praktikant im Bielefelder Wahlkreisbüro von Wiebke Esdar. Dank Ihr hatte ich die Möglichkeit, dieses Spektakel am Donnerstag und Freitag live und in Farbe mitzuerleben. Das erste Mal Bundesparteitag, und dann auch noch in Berlin – das klingt vielversprechend! Doch was passiert auf einem Bundesparteitag genau und wie läuft der ab? Darf da jeder hin, oder ist so eine Veranstaltung nur ausgewählten Gästen vorbehalten?
Mit einer einfachen Anmeldung im Internet stand ich schon auf der Gästeliste – nur den Personalausweis musste ich vor Ort noch vorzeigen, sowie die obligatorische Sicherheitskontrolle überstehen. Nach zweieinhalbstündiger Fahrt mit dem ICE (ohne Verspätung) startete der Parteitag in der Messehalle “CityCube“ der Messe Berlin am Donnerstagmorgen mit einer Eröffnungsrede von Aydan Özoguz.
Der erste Höhepunkt des Tages war mit Sicherheit die erste Rede von Parteichef Martin Schulz, der das Ziel setzte, trotz der möglichen Rolle der SPD in der kommenden Regierung, den Erneuerungsprozess nicht zu vernachlässigen. Schulz: „Der Erneuerungsprozess der SPD, organisatorisch und politisch, wird weitergehen und er muss weitergehen.“ Die Rede endete mit stehenden Ovationen für den Redner.
Es folgte die mehrstündige Debatte zum Leitantrag des Vorstandes, der die Aufnahme von ergebnisoffenen Gesprächen mit der Union empfahl. In kurzen Redebeiträgen konnten sich die über 600 Delegierten aussprechen und ihre unterschiedlichen Standpunkte ehrlich, aber respektvoll klarstellen. Schlussendlich entschloss sich die Mehrheit des Parteitages für ergebnisoffene Gespräche und damit gegen einen Antrag der Jusos, der eine große Koalition für undenkbar erklären sollte. Schlussendlich wurde Martin Schulz mit über 80% der Stimmen als Vorsitzender wiedergewählt.
Doch abgesehen von den Reden gab es noch viel mehr zu sehen: Im gesamten Gebäude waren viele Journalisten unterwegs, oft auf der Suche nach Interviewpartnern. So wurde auch ich überraschend von einer Dame mit ZDF-Mikrofon angesprochen, jedoch lehnte ich reflexartig ab, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Ein Stockwerk tiefer konnte ich mich bei Werbeständen von bekannten und weniger bekannten Unternehmen mit meinem Jahresbedarf an Kugelschreibern und Gummibärchen eindecken, und den bekannten Komiker Ralf Kabelka, der auf der Suche nach lustigen Begegnungen für die Satire-Sendung “heute-show“ war, aus sicherer Entfernung beobachten. Außerdem waren alle Bewerber für den Wilhelm-Dröscher-Preis vertreten, für den auch die AG sozialdemokratischer Frauen Bielefeld (Asf-Bielefeld) teilnahm, um auf die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern hinzuweisen.
Am Abend durfte ich mit auf den Parteiabend, ein Beisammensein mit Musik und Buffet. Es war sehr interessant, so viele bekannte Politiker mal in einem ganz anderen Umfeld zu sehen, als man es im Fernsehen immer tut.
Der zweite Tag stand ganz unter dem Zeichen der Erneuerung der Partei und wurde mit Diskussionen und Abstimmungen um die verschiedenen Anträge gefüllt. Besonders in Erinnerung bleibt mir die kreative Zollstockrede von Lothar Binding, sowie Sigmar Gabriels Rede zur Migrationspolitik. Zwischen den Debatten wurden wichtige Posten wie der Generalsekretär oder die Bundesschiedskommission neu gewählt. Außerdem wurde in zwei Wahlgängen der neue Vorstand vervollständigt, dem nun mit dem drittstärksten Ergebnis im ersten Wahlgang auch Wiebke Esdar angehört. Die Freude war dementsprechend groß.
Am Abend stiefelte ich durch das weihnachtliche Berlin zurück zum Hauptbahnhof, um mich auf den Rückweg nach Bielefeld zu machen. Ich nehme von diesem Parteitag eine ganze Menge Eindrücke und Erfahrungen mit zurück nach Hause und kann nur empfehlen: Ein SPD-Bundesparteitag ist durchaus eine kleine Reise wert!