Die SPD hat in den vergangenen Wochen intensiv und leidenschaftlich über den Eintritt in eine Große Koalition diskutiert. Diese Debatte war nicht nur notwendig, sie war beispielhaft für eine lebhafte innerparteiliche Demokratie. Und sie hat die SPD zusammengebracht. Auch wenn aus konservativen Kreisen mit teils fragwürdigen Kampagnen der Versuch unternommen wurde, diese Debatte und das Verfahren des Mitgliederentscheids in den Schmutz zu ziehen, können wir selbstbewusst sagen: Die SPD hat gezeigt, dass Parteien der Ort kontroverser Debatten sein können und sachlich ausgetragene Diskussionen unsere Demokratie stärken.
Im Ergebnis hat die Mehrheit der Mitglieder der SPD dem Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU zugestimmt. Dieses Ergebnis gilt es gemeinsam zu respektieren. Die SPD-Mitglieder in der Bundesregierung sowie insbesondere auch die SPD-Bundestagsfraktion werden nun die Aufgabe haben, die von der SPD in den Koalitionsverhandlungen erstrittenen Erfolge in die Realität umzusetzen. Dazu benötigen sie auch den Rückhalt der gesamten Partei.
In den letzten Monaten ist jedoch auch klar geworden: Ein „Weiter so“ darf es auch in der Regierungsarbeit nicht geben. Die SPD muss deshalb die im Koalitionsvertrag angelegten Diskussionsprozesse nutzen, um die sozialdemokratische Position öffentlich wahrnehmbar zu machen, sowie in den sich ergebenden Spielräumen ein klares sozialdemokratisches Profil sichtbar machen. Unterscheidbarkeit zwischen den Koalitionsparteien gefährdet nicht den Koalitionsfrieden, sondern sichert den demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft.
Bei aller Kontroverse in der Debatte über das Für und Wider einer Großen Koalition eint uns die Überzeugung, dass sich die SPD dem grundlegenden Erneuerungsprozess stellen muss. Unser gemeinsames Ziel lautet: Die SPD muss programmatisch und organisationspolitisch auf die Höhe der Zeit gebracht werden, um wieder stärkste Partei werden zu können, um wieder parlamentarische Mehrheiten jenseits der Großen Koalition zu ermöglichen.
Für den inhaltlichen Erneuerungsprozess bedeutet dies für uns:
- Die SPD muss an ihrer Grundhaltung klar erkennbar sein. Wir streben nach einer offenen, liberalen und pro-europäischen Gesellschaft und streiten tagtäglich für ein freies, selbstbestimmtes und sicheres Leben für jeden einzelnen Menschen. Wir sind der Zukunft zugewandt, stehen neuen Entwicklungen offen gegenüber und wollen einen solchen Fortschrittsgedanken mit dem Streben nach mehr Gerechtigkeit verbinden. Haltung zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht aus kurzfristigen taktischen Erwägungen in Frage gestellt wird.
- Die SPD muss sich – diese grundsätzlichen Ziele vor Augen – ihrer Rolle und ihres Auftrags vergewissern. Sie muss deutlich machen, für wen sie Politik gestalten möchte und somit im besten Sinne wieder parteiisch werden. Volkspartei zu sein, bedeutet nicht, es stets allen recht zu machen. Viel zu häufig sind wir in der Vergangenheit dem Fehler aufgesessen, den möglichen gesellschaftlichen Kompromiss zur eigenen Position zu machen – und haben damit die Große Koalition schon in der eigenen Partei „gespielt“. Vielmehr gilt: Es gibt in dieser Gesellschaft Interessengegensätze, die spiegelbildlich auch in unserer Partei aufgegriffen, kontrovers diskutiert und im ein oder anderen Fall auch durch eine Mehrheit entschieden werden müssen. Statt Formelkompromissen, Kommissionen und Klein-Klein brauchen wir mehr kontroverse Debatten, klare Entscheidungen und damit letztlich auch klarere Positionen. Diese schaden uns nicht, sie nützen der Demokratie und auch der SPD, weil sie die gegensätzlichen Politikentwürfe deutlich werden lassen. Wir sind davon überzeugt: Ein klares Profil und eine klare Haltung graben letztlich auch den Rechtspopulisten das Wasser ab.
- Die SPD muss mit einer solchen Grundhaltung und einer klaren Rolle vor Augen die großen Trends und Themen dieser Zeit aufgreifen, um damit eine anspruchsvolle Programmatik zu entwickeln, die weit über das aktuelle Regierungshandeln hinausgeht. Im Kern der Auseinandersetzung muss dabei der noch immer – und mittlerweile wieder stärker – bestehende Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit stehen, der insbesondere durch immer stärker zunehmende Ungleichverteilung des Wohlstands seinen unmittelbaren Ausdruck findet: Während die Konzentration der Vermögen an der Spitze zunimmt, lebt hierzulande jedes fünfte Kind in Armut. Auch und gerade vor diesem Hintergrund sorgen sich viele Menschen vor Entwicklungen wie der Digitalisierung, der Globalisierung, dem demografischen Wandel, dem Klimawandel oder weltweiten Migrationsströmen. Wir sind davon überzeugt, dass es sich um gestaltbare Prozesse handelt, wenn wir bereit sind, auch mutige, unkonventionelle und weit über den heutigen Tag hinausgehende Antworten mit einer klaren Richtung zu geben. Wir sind nicht bereit, tatenlos zuzusehen, wie ein globalisierter Kapitalismus zu mehr Ungleichheit, gravierenden Umweltproblemen, schlechten Arbeitsbedingungen und Abstiegsängsten führt. Im Gegenteil: Wir haben den Optimismus, die Dinge gestalten zu können und praktische Konzepte zu entwerfen, die den Menschen einerseits Zukunftsängste nehmen und andererseits neue Chancen eröffnen.
Wir sind davon überzeugt, dass eine solche programmatische Erneuerung, die mit einer grundsätzlichen Haltung, einer klaren Rolle vor Augen und die großen Themen dieser Zeit aufgreifend, den Kern von #SPDerneuern ausmacht. Ebenso sind wir davon überzeugt, dass eine solche programmatische Erneuerung nur funktionieren kann, wenn die gesamte Partei in den Prozess einbezogen wird. Ob man für oder gegen die Große Koalition war, ob man neu oder schon lange mit dabei ist: Die Erneuerung der SPD wird nur gelingen, wenn wir zusammenarbeiten. Die organisatorische Erneuerung ist somit kein abstraktes, in der fernen Zukunft praktiziertes Organisationsmodell, sondern muss ganz praktisch bereits im programmatischen Erneuerungsprozess gelebt und sichtbar werden. Eine solche Einbindung der gesamten Partei muss deshalb zu Beginn des Prozesses verbindlich deutlich werden. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die SPD eine diskussionsfreudige Partei ist – die bei aller Debatte zusammensteht. Wir wollen diese Energie auch für die programmatische Erneuerung nutzen. Dies kann uns gelingen, indem wir einen partizipationsorientierten Prozess unter anderem mit folgenden Maßnahmen unterstützen, die zum einen bewährte Strukturen wieder neu beleben und zum andern neue Wege der Beteiligung ermöglichen:
- Eine verbindliche und transparente Struktur des Erneuerungsprozesses sorgt dafür, dass die Mitgliedschaft Klarheit darüber hat, wie der Prozess ablaufen wird und wo man sich einbringen kann.
- Wir wollen die programmatische Debatte in der gesamten Partei führen und dabei insbesondere die fachliche Kompetenz und die politischen Schwerpunkte in den jeweiligen Landesverbänden und Bezirken nutzen.
- Mit regelmäßigen Unterbezirksvorsitzendenkonferenzen können wir eine direkte Rückkopplung an die Unterbezirke gewährleisten. Wichtig ist uns hierbei, dass der Kommunikationsfluss in beide Richtungen funktioniert: Wir brauchen sowohl die Impulse der Basis als auch eine größtmögliche Transparenz des Neuaufstellungsprozesses im Bund.
- Mit Parteitagen, auf denen wieder offen und ergebnisorientiert diskutiert wird und mehr Anträge aus der Mitte der Partei entweder auf dem Parteitag beraten oder auf anderem Wege für die Antragssteller transparent weiterbehandelt werden.
- Mit der Durchführung von themenorientierten Parteitagen oder Parteikonventen können wir auf der Bundesebene Diskursräume zur kontroversen Debatte von Themen eröffnen.
- Mit der Förderung von Bildungsformaten für die Diskussion vor Ort (etwa durch thematische Pools an Referentinnen und Referenten) können wir unsere Debatte um externe Impulse bereichern und daraus neue Ideen gewinnen.
- Mit geeigneten Online-Formaten können wir eine direkte Beteiligung vieler Mitglieder gewährleisten. Dabei ist für uns auch vorstellbar, dass zu bestimmten Zeitpunkten der Debatte ein Meinungsbild der Parteibasis online eingeholt wird.
- Wir wollen Expertinnen und Experten in unserer Mitgliedschaft stärker in den Erneuerungsprozess einbinden und Stimmen jenseits der Fraktionen und Parteigremien stärker hören.
Diese Liste ist gewiss nicht abschließend. Sie macht aber deutlich: #SPDerneuern ist kein Selbstläufer. #SPDerneuern kann dann gelingen, wenn wir alle gemeinsam in unserer Partei die großen Zukunftsdebatten führen. Wir sind davon überzeugt: Die SPD wird gebraucht. Und die SPD braucht alle ihre Mitglieder, um wieder stärker zu werden. Packen wir es an!
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner
Niels Annen MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Bärbel Bas MdB, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion
Martin Börschel MdL, Stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW
Christian Dahm MdL, Stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW
Dr. Wiebke Esdar MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Uli Grötsch MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Marc Herter MdL, Stellv. Landesvorsitzender der NRWSPD
Oliver Kaczmarek MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Daniela Kolbe MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Kevin Kühnert, Juso-Bundesvorsitzender
Veith Lemmen, Mitglied im Landesvorstand der NRWSPD
Nadja Lüders MdL, Stellv. Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag NRW
Serpil Midyatli MdL, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Dr. Matthias Miersch MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Jochen Ott MdL, Stellv. Landesvorsitzender der NRWSPD
Sarah Philipp MdL, Stellv. Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag NRW
Sarah Ryglewski MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands, Stellv. Landesvorsitzende der SPD Bremen
Dagmar Schmidt MdB, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Svenja Schulze MdL, Mitglied des SPD-Präsidiums
Frank Schwabe MdB
Carsten Sieling, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Kerstin Tack MdB, Mitglied des Fraktionsvorstands der SPD-Bundestagsfraktion
Johanna Uekermann, Mitglied des SPD-Präsidiums
Sascha Vogt, Mitglied des SPD-Parteivorstands