- Der FSJ´ler Nelis berichtet -
Starten wir mit einer leichten Einstiegsfrage: Was war das coolste an der Schulzeit? Richtige Antwort: Die Klassenfahrten! Folgefrage: Was war das nervigste an den Klassenfahrten? Richtige Antwort: Das langweilige Programm, welches sich die Lehrer ausgedacht haben! Stellt euch nun folgendes vor: Ihr geht nicht auf eine, nicht auf zwei, auch nicht auf drei, sondern auf SECHS Klassenfahrten in einem Jahr in der coolsten Stadt der Republik. Und das ohne Lehrer und mit einem komplett selbst gestalteten Programm! Unvorstellbar? Von wegen! Willkommen im FSJ-Politik in Berlin!
Da einem die Umstellung von der lockeren Schulzeit hin zu einer 40-Stunden Woche im Arbeitsalltag oder der Umzug vom Hotel Mama in die eigen Wohnung nicht zwangsläufig immer ganz geschmeidig gelingen mag, wird ein FSJ (oder auch ein Bundesfreiwilligendienst) neben der Einsatzstelle auch immer von einer Trägerorganisation begleitet. In meinem Fall sind das die Internationalen Jugend Gemeinschaftsdienste Berlin (ijgd). Neben der pädagogischen Unterstützung richten die ijgd auch die sechs Seminarwochen aus, die gesetzlich während eines FSJ vorgeschrieben sind.
Womit wir wieder beim Anfang und den Klassenfahrten wären. Doch wenn ihr bis hierhin aufmerksam gelesen habt, dann mag euch etwas aufgefallen sein: Klassenfahrten sind ja schön und gut, doch mit welcher Klasse tourt der Nelis als FSJler bitteschön durch die Gegend? Die typische Schulklasse gibt es im FSJ natürlich nicht mehr, dafür kommen alle Freiwilligendienstleistenden aus Berlin und Potsdam von der ijgd zusammen und werden auf zwei Seminargruppen verteilt. Denn ein FSJ Politik kann man natürlich in ganz vielen verschiedenen Organisationen machen: Neben dem Bundestag wären da zum Beispiel der Landtag oder Ministerien in Brandenburg, Hilfsorganisationen wie CARE, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, das Aktionsbündnis Brandenburg, das Whistle-Blower-Netzwerk und noch viele, viele mehr.
Da schmeißt die ijgd also einen Haufen engagierte Freiwillige zusammen, die alle woanders herkommen und in unterschiedlichen Organisationen tätig sind, aber grundsätzlich die gleichen Interessen haben – ich denke ihr könnt euch vorstellen, dass es beim ersten Zusammentreffen ungefähr 0,7 Sekunden gedauert hat, bis die ersten Gespräche entstanden sind. Ich habe an dieser Stelle schon einmal von meinen FSJ-Kollegen im Bundestag erzählt, die aus der ganzen Republik kommen – bei den ijgd-Seminaren wird diesbezüglich nochmal einer draufgesetzt. Aber egal, ob die Leute aus Niedersachsen, dem Schwabenland, Bayern, den neuen Bundesländern oder Südamerika kommen; von allen muss ich mir immer wieder denselben Spruch anhören, wenn ich mich als gebürtiger Bielefelder vorstelle: „Bielefeld? Das gibt´s doch gar nicht!“ Und wie ihr euch vorstellen könnt, falle ich aufgrund dieses herausragenden Witzes jedes Mal aufs Neue vor Lachen fast vom Stuhl. Nicht.
Da man sich aber auch über andere Herkunftsorte herausragend lustig machen kann (googelt z.B. mal „Witze über das Saarland“ :D), kriege ich die Seminarwochen schon immer ganz gut rum. Die meiste Zeit wird sowieso etwas anderes diskutiert. Wir tauschen uns über Erfahrungen aus den Einsatzstellen aus, spielen zusammen Karten oder lassen uns von den hier geborenen Berliner „Locals“ ein paar Szenetipps für die Hauptstadt geben. Dass die Vorgabe einer Nachtruhe völlig sinnlos ist und deshalb auch keine Anwendung findet, ist denke ich überflüssig zu erwähnen. Stattdessen liegt man dann am Ende eines Tages mit seinen Kumpels auf dem Zimmer und erzählt sich von zuhause. Meine Zimmergenossen aus Niedersachsen haben sich z.B. kringelig gelacht, als ich ihnen die größten Evergreen-Hits aus dem Arminia-Fanblock vorgesungen habe. #einballeinschusseinschreieintor
All das tun wir natürlich nur, wenn wir uns nicht gerade mit dem politischen Überthema des Seminars beschäftigen. Der Anspruch der ijgd ist es, dass an jedem Tag zweimal drei Stunden inhaltlich gearbeitet wird. Beim Einführungsseminar haben wir demokratisch fünf politische Überthemen festgelegt, die dann jeweils in einer Seminarwoche behandelt werden. Beim letzten Mal ging es zum Beispiel um Sozialpolitik, im nächsten Seminar dreht sich alles um Europa. Dabei sind diese Themen durchaus mit Sinn und Verstand und keineswegs willkürlich festgelegt – das Europaseminar im März läutet beispielsweise die heiße Phase vor der Europawahl ein. So können wir alle uns darüber klar werden, wie wichtig dieses Thema ist und dabei verschiedene Kriterien diskutieren, die wir in und an Europa für relevant halten und die dann vielleicht auch in unsere Wahlentscheidung Ende Mai mit einfließen.
Die ijgd legt bei Ihren Seminaren großen Wert auf Eigenorganisation, weshalb jeder und jede Freiwilligendienstleistende in Gruppenarbeit eine Seminarwoche inhaltlich mit vorbereiten muss. Die betreuenden Teamer haben dann organisatorisch kaum noch etwas zu tun und begeben sich im Laufe der Woche total auf Augenhöhe mit den anderen Seminarteilnehmern. Doch nicht nur die Inhalte, sondern auch die Mahlzeiten werden von den Teilnehmern selbst organisiert. Und auch wenn meine Stärken bisher zweifelsohne eher im bekocht werden als im selber kochen lagen, muss ich zugeben, dass es schon Spaß macht, zusammen in der Küche zu stehen, ein bisschen Gemüse zu schnippeln und dabei von der kompletten Bandbreite der Schlagermusik zwischen „Am Tag als Conny Kramer starb“ von Juliane Werding und „Ruhrgebiet“ von Wolle Petry begleitet zu werden. Und ich habe sogar was gelernt: Wenn man für zwanzig Leute Essen zubereitet, sind acht Packungen Milchreis definitiv zu viel für eine Mahlzeit und eigen sich in dieser Menge eher dafür, zwei Wochen ausgesetzt in der Wildnis zu überleben. Aber konnte ja vorher keiner ahnen!
Wenn dann das ganze Programm und alle Mahlzeiten gelaufen sind, wird der Abend gerne noch mit einem goldgelben, flüssigen Exportprodukt aus dem Leipziger Stadtteil Reudnitz oder unserem gemeinsamen, guten alten Kumpel Lambrusco (der in einem kleinen Dorf Norditaliens in der Nähe von Bologna das Licht der Welt erblickt hat) ausklingen gelassen. Am letzten Abend dann gerne auch mal etwas ausführlicher.