Ich habe in meinem FSJ im Bundestag schon viele richtig coole Dinge erlebt. Zum Beispiel bin ich mit dem Finanz- und dem Außenminister Fahrstuhl gefahren. Ich stand mit Kevin Kühnert und Casper im Arminia-Block an der Alten Försterei. Ich war im ZDF-Hauptstadtstudio live beim TV-Duell zur Europawahl. Ich habe mit den Regierungschefs von NRW und Schleswig-Holstein auf dem Platz der Republik Herforder Pils getrunken. Doch bei all diesen Dingen hatte ich noch immer das große Highlight im Kopf, das alle anderen überstrahlen sollte: Meine Teilnahme im Planspiel Jugend und Parlament, vier Tage Bundestagsabgeordneter sein – mit allem was dazu gehört, an den originalen Schauplätzen.
Über 300 Jugendliche wurden von den Bundestagsabgeordneten eingeladen, vom 1. – 4.6. in den echten Parlamentsgebäuden einmal in die Rolle der gewählten Politiker und Politikerinnen zu schlüpfen und alles, was so ein Bundestagsmandat mit sich bringt, einmal am eigenen Leibe zu erfahren. Nach einer kleinen Einführung und einem lockeren Kennenlernen mit den anderen Teilnehmer*innen wurden wir zur offiziellen Einführung in den Plenarsaal des deutschen Bundestages gebracht. Diesen Saal dürfen abseits von Jugend und Parlament nur Abgeordnete, Saaldiener und die Mitglieder der Bundesversammlung bei der Wahl des Bundespräsidenten betreten. Als ich durch die berühmten Hammelsprung-Türen ging, stand mir also schon mal der Mund offen. Jeder und jede von uns hat diesen Saal schon hunderte Male im Fernsehen, durchs Fenster oder vielleicht auch von der Besuchertribüne aus gesehen. Doch wirklich drin zu stehen und auf den berühmten blauen Stühlen Platz zu nehmen, das haut dich komplett von den Socken. Was mir aufgrund des ersten Sommerwochenendes des Jahres dann auch gleich aufgefallen ist: Der Plenarsaal ist unglaublich geil klimatisiert. Wie ich später erfahren habe, gibt es ein Stockwerk tiefer einen weiteren Raum, der völlig leer steht und nur deshalb da ist, damit durch ihn frische Luft von unten in den Plenarsaal strömen kann.
Am nächsten Morgen ging es dann auch inhaltlich los – wobei eigentlich nicht so ganz. Wir beschäftigten uns zunächst – wie sollte es auch anders sein – ausgiebig mit Personalfragen. In unserer simulierten Landesgruppe der fiktiven GP-Fraktion (Gerechtigkeitspartei) verlief die Wahl noch einigermaßen demokratisch: Im dritten Wahlgang entschieden wir uns in der Schlussabstimmung mit einer Stimme Differenz zum Zweitplatzierten für einen Kandidaten und eine Kandidatin für den Fraktionsvorsitz. In der Gesamtfraktion mit über hundert Mitgliedern wurde dann aus insgesamt acht Kandidat*innen eine Doppelspitze mitsamt Stellvertreter und Stellvertreterin gewählt. Die Wahl war geheim und dauerte somit ewig, nach fast drei Stunden Wahlmarathon waren unsere beiden Kandidaten schließlich komplett leer ausgegangen und ergatterten nicht einmal einen Stellvertreterposten. Unsere Landesgruppe war einer Reihe von perfiden Hinterzimmerdeals und -absprachen zwischen den Anderen zum Opfer gefallen. Oder anders gesagt: Offenbar hatten wir noch nicht verstanden, wie Politik funktioniert ;). Nach dem langwierigen und schweißtreibenden ersten Vormittag im ganz und gar nicht geil klimatisierten SPD-Fraktionssaal schienen einige nun schon gar keine Lust mehr auf das Planspiel zu haben. Politik macht eben keinen Spaß, wenn man sich nur mit Personalfragen beschäftigt.
Dann aber ging es zur Sache: Arbeitsgruppe, Fraktion, Landesgruppe, erste Lesung im Plenarsaal, Ausschuss, Arbeitsgruppe, Fraktion und nochmal Landesgruppe waren in den nächsten 30 Stunden die Stationen bis zur abschließenden dreistündigen Debatte im Plenum. Auf dem Weg dorthin wurden in den verschiedenen Gremien über die gesamten vier Tage vier fiktive Gesetzesentwürfe und Anträge erarbeitet: Es ging um Chancengleichheit bei Bewerbungen, Pfand auf Kaffeebecher, einen Bundeswehreinsatz in Sahelien und Jugendwahlrecht ab 16. In den einzelnen Sitzungen wurde dann auch mit großem Engagement debattiert. Ein Kollege sprach sich in der Fraktionssitzung lautstark gegen den Bundeswehreinsatz aus, kassierte darauf noch lautere Zwischenrufe von den Fraktionskollegen, sodass unser Vorsitzender einschreiten musste und ebenfalls in sein Mikrofon schrie. Der Saal brannte lichterloh, alle brüllten sich gegenseitig an. Da war sie endlich, die Politikaction die ich sehen wollte!
Schließlich ging es dann aber auf den Zieleinlauf, auf den ich die ganze Zeit hingearbeitet hatte. Ich hatte mir in den etlichen Sitzungen zuvor ein Rederecht für die abschließende Plenardebatte erkämpft und war also einer der glücklichen 64 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich im Plenum des deutschen Bundestages zu Wort melden durften. Am wichtigsten Rednerpult des Landes, vielleicht sogar Europas. Ich hatte die Hosen gestrichen voll, doch als ich am Pult stand, war es ein enorm erhabenes Gefühl: Ein echter Bundestagsvizepräsident wachte über mich – ich spürte richtig, wie das Rednerpult das absolute Zentrum dieses so historischen und machtvollen Saals und Gebäudes war. Der Mittelpunkt des Landes eben. Als ich mir hinterher meine Rede das erste Mal ansah und bemerkt habe, dass ich den Vizepräsidenten Thomas Oppermann offenbar prächtig unterhalten hatte, war mir klar, dass es so schlecht nicht gewesen sein kann :D.
Hier könnt ihr euch meine komplette Rede ansehen, spult einfach auf 2:45:50 vor.
Zum Abschluss des Planspiels hielt der Bundestagspräsident ein Grußwort zu uns Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Während dieser Rede führten rund 20 Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen Protest zur Klimapolitik durch, indem sie ein Transparent hochhielten und sich vor dem Rednerpult auf den Boden legten und tot stellen. Ich habe bei dieser Aktion nicht mitgemacht und dennoch war es ein verrücktes Gefühl, Teil von etwas zu sein, das am Abend in den Nachrichten im Fernsehen lief und am nächsten Morgen in vielen Zeitungen stand.
Doch es war auch charakteristisch für mein FSJ in der Hauptstadt: Beim Bundestag als Einsatzstelle liegt 365 Tage im Jahr das bundesweite Interesse. Und jederzeit kann es einen Knall geben und die ganze Republik berichtet über dich.